News | Newsletter | Neues zum Vergaberecht 01/2025
Drittstaatsunternehmen haben keinen Anspruch auf Gleichbehandlung bei Vergabeverfahren
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat klargestellt, dass Wirtschaftsteilnehmer aus Drittstaaten keinen Anspruch auf Gleichbehandlung mit Bietern aus der EU oder GPA-Vertragsstaaten haben. Dieses Grundsatzurteil hat erhebliche Implikationen für das europäische und nationale Vergaberecht.
EuGH, Urteil vom 22.10.2024, C-652/22
In einem Vergabeverfahren eines kroatischen Auftraggebers betreffend den Bau von Eisenbahninfrastruktur hatte ein türkisches Unternehmen nach einer erfolglosen Bewerbung Rechtsmittel gegen die Zuschlagsentscheidung eingelegt. Nach der Aufhebung der ersten Vergabeentscheidung hatte der Auftraggeber bei der später bezuschlagten Bietergemeinschaft weitere Referenzen abgefragt und eine neu eingereichte Referenz bei seiner Vergabeentscheidung berücksichtigt. Hiergegen wandte sich das türkische Unternehmen vor dem zuständigen kroatischen Gericht. Dieses legte dem EuGH mehrere Fragen zur Auslegung der Vergaberichtlinie 2014/25/EU (Sektorenrichtlinie) vor, insbesondere zur Berechtigung öffentlicher Auftraggeber, nachträgliche Änderungen oder Klarstellungen von Angeboten zu fordern.
Der EuGH lehnt das Vorabentscheidungsersuchen als unzulässig ab. Zu Begründung führt er aus, dass die Rechte von Drittstaatsunternehmen in EU-Vergabeverfahren von internationalen Abkommen, wie z.B. dem WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA), abhängen. Unternehmen aus GPA-Vertragsstaaten genießen gemäß Artikel 43 der Richtlinie 2014/25/EU und deren Erwägungsgrund 27 diskriminierungsfreien Zugang zu den Vergabemärkten der EU und können sich auf die EU-Vergaberichtlinie berufen. Anders verhält es sich mit Unternehmen aus Drittstaaten ohne einschlägige Abkommen mit der EU, wie im vorliegenden Fall der Türkei. Diese Unternehmen können zwar an Vergabeverfahren teilnehmen, sich jedoch im Rahmen der Teilnahme an dem Verfahren nicht auf die Sektorenrichtlinie 2014/25 berufen. Folglich können sie nicht die Gleichbehandlung ihres Angebots mit den Angeboten von Bietern aus Mitgliedstaaten oder GPA-Vertragsstaaten fordern und haben keinen entsprechenden Rechtsanspruch. Eine andere Auslegung würde den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie unbegrenzt ausweiten. Dann hätten Wirtschaftsteilnehmer aus Drittstaaten, mit denen kein Abkommen besteht, denselben Zugang zu öffentlichen Aufträgen wie Unternehmen aus EU-Mitgliedstaaten. Die Bieter aus Drittstaaten können sich nicht auf Bestimmungen der einschlägigen Vergaberichtlinie berufen, sondern sind ausschließlich auf das nationale Vergaberecht beschränkt, um etwaige Vergabeentscheidungen anzufechten.
Zudem betont der EuGH, dass die Regelung des Zugangs von Drittstaatenunternehmen in die ausschließliche Kompetenz der EU fällt. Mitgliedstaaten sind nicht befugt, in diesem Bereich gesetzgeberisch tätig zu werden und verbindliche Rechtsakte zu erlassen, selbst wenn die EU keine entsprechende Regelung erlassen hat. Dies wird damit begründet, dass jeder Rechtsakt mit allgemeiner Wirkung, der Modalitäten festlegt, unter denen die Wirtschaftsteilnehmer eines Drittlandes an dem Verfahren teilnehmen können, sich auf den Handel mit Waren und Dienstleistungen zwischen dem Drittland und der EU direkt und sofort auswirken kann. Die gemeinsame Handelspolitik nach Art. 3 Abs. 2 AEUV liegt jedoch ausschließlich in der Zuständigkeit der Union. Es ist Sache des Auftraggebers, zu beurteilen, ob Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, mit denen keine Übereinkunft besteht, zu dem Vergabeverfahren zugelassen werden.
Fazit
Dieses Urteil verdeutlicht die zentrale Bedeutung internationaler Abkommen für die Marktöffnung der Vergabemärkte in der Union. Es unterstreicht zugleich die Grenzen nationaler Gesetzgebung im Kompetenzbereich der EU. Der Druck auf die öffentlichen Auftraggeber, Drittstaatenunternehmen zum Schutz des Binnenmarktes nicht zuzulassen, wird nach dieser Entscheidung spürbar steigen.
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