Ein Vergabenachprüfungsverfahren ist immer für Überraschungen gut. Das zeigte sich erneut, als Ende August 2023 die Depenbrock Systembau GmbH und Co. KG für ein Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer (VK) Westfalen erteilte. Es ging um eine EU-weite Ausschreibung der Stadt Dortmund, die einen Vertragspartner für Planung und Bau einer vierzügigen Grundschule, einer Förderschule sowie einer Tageseinrichtung für Kinder suchte. Das Projektvolumen erwartete man bei ca. 70 Mio. Euro.
Depenbrock hatte das in fast allen Kriterien am besten bewertete Angebot abgegeben und sollte den Auftrag erhalten. Die Stadt legte in ihrer funktionalen Leistungsbeschreibung Wert auf Nachhaltigkeit, wertete den anzubietenden Pauschalfestpreis mit einem Anteil von nur 50 % und berücksichtigte zusätzlich den CO2-Fußabdruck mit 15 % Wichtung (bewertet mit dem CO2-Äquivalent anhand der Ökobaudat-Datensätze gemäß DIN EN 15804). Auch die architektonische Leitidee und gestalterische Qualität wurden mit 15 Prozent Wichtung angesetzt. Für die Optimierung der Vorplanung des Auftraggebers, die die Bieter übernehmen oder verändern konnten, waren max. zehn Prozent der Wertungspunkte erhalten.
Im Verlauf dieses Verhandlungsverfahrens wurden mit den Bietern intensive Verhandlungsgespräche geführt. Zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens erhob ein Bieter irgendeine Verfahrensrüge gemäß § 160 Abs. 3 GWB. Erstmals nach Erhalt der Bieterinformation, wonach Depenbrock den Auftrag bekommen sollte, wandte sich nun der unterlegene Bieter an die Stadt mit einer Vielzahl von Rügen gegen die Vergabeunterlagen, u. a. die Wertung des CO2-Fußabdrucks und eine angeblich falsche Umsetzung der Vorplanung.
Die zuständige Vergabekammer Westfalen beschloss zunächst, die für den Auftrag vorgesehene Bieterin Depenbrock Systembau zum Verfahren beizuladen. Christian von Ulmenstein, Kristin Beckmann und Ralf Leinemann übernahmen die Vertretung der Mandantin vor der Vergabekammer.
Eigentlich schien der Fall klar: Nach § 160 Abs. 3 GWB sind Bieter verpflichtet, ihrer Ansicht nach bestehende Defizite in den Vergabeunterlagen unverzüglich, spätestens aber bis zur Angebotsabgabe zu rügen, ansonsten ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig. Hier war also die Rüge zweifellos zu spät erfolgt. Der Gesetzgeber nimmt durch diese Vorgabe hin, dass möglicherweise vergaberechtlich falsch ausgeschrieben wurde. Dennoch besteht kein Rechtsschutz dagegen, wenn sich die Bieter nicht rechtzeitig deswegen an den Auftraggeber wenden und Abhilfe verlangen. Die Vergabekammer führt nämlich keine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle eines Vergabeverfahrens durch, sondern kann nur solche möglichen Verstöße aufgreifen, die von einem Bieter rechtzeitig während des Verfahrens beanstandet wurden.
Somit war vorliegend etwa die Rüge gegen die Wertung des CO2 Fußabdrucks präkludiert, weil sie schon vor Angebotsabgabe hätte erhoben werden müssen.
Eine interessante Wendung erhielt der Fall durch einen Hinweisbeschluss der VK Westfalen, wonach wohl ein Parkhaus zwingend angeboten werden müsse. In den Vergabeunterlagen war vorgesehen, dass die Bieter planerisch eine ausreichende Anzahl von Parkplätzen darstellen mussten. Die Vorplanung der Stadt sah dafür ein Parkhaus vor (in der Leistungsbeschreibung war gelegentlich auch das Wort »Parkpalette« enthalten). Depenbrock hatte durch eine Umgliederung der Gebäudekörper eine Möglichkeit gefunden, die Parkplätze ebenerdig auf dem Gelände darzustellen. Nachdem die Stadt dies überprüft hatte, unterrichtete sie beide Bieter in den Verhandlungen darüber, dass Stellplätze nicht nur durch ein Parkhaus, sondern auch durch einen Parkplatz zulässig dargestellt werden können. Der andere Bieter hielt in seinem finalen Angebot aber an einem Parkhaus fest, Depenbrock hingegen sah einen Parkplatz vor.
Initiiert durch einen entsprechenden Vortrag des unterlegenen Bieters meinte die Vergabekammer nun, dass die Schaffung eines Parkhauses eine vergaberechtliche Mindestbedingung darstellen könnte, von der nicht abgewichen werden dürfe. Diese Argumentation erwies sich auch in der mündlichen Verhandlung noch als Problem. Die Leinemann-Anwälte machten deutlich, dass bei diesem Vergabeverfahren gar keine Mindestbedingungen vorgesehen waren: Nirgends in den Vergabeunterlagen fand sich dieser Begriff, und die Bieter waren ausdrücklich berechtigt, von der Vorplanung des Auftraggebers abzuweichen. Zudem: Auch bezüglich des Parkhauses hatte der unterlegene Bieter im Verfahren keine Rüge nach § 160 Abs. 3 GWB erhoben, obwohl ihm in der Verhandlungsrunde und durch die Übersendung des Protokolls der Verhandlung mündlich wie schriftlich mitgeteilt worden war, dass nicht unbedingt ein Parkhaus angeboten werden müsse, sondern dass auch (ebenerdige) Parkplätze ausreichen. Noch in der mündlichen Verhandlung tendierte die Vergabekammer jedoch dazu, dem Antrag des unterliegenden Bieters stattzugeben.
Dazu Ralf Leinemann: »Wir waren in der Verhandlung verblüfft, dass ein nicht einmal als Mindestbedingung ausgeschriebenes Parkhaus gleichwohl dazu umdeklariert wurde und eine Abweichung davon unbeirrt als unzulässig angesehen wurde, obwohl sie den Bietern ausdrücklich schriftlich gestattet und dies nicht gerügt worden war.«
Das Leinemann-Team hatte daher vorsorglich noch darauf verwiesen, dass nach zwei Entscheidungen des OLG Celle (17.11.2011 – 13 Verg 6/11) und des für die VK Westfalen in zweiter Instanz zuständigen OLG Düsseldorf (13.5.2019 – VII-Verg 47/18) selbst ein eindeutiger Vergabeverstoß nicht von Amts wegen durch die Vergabekammer aufgegriffen werden darf, wenn die Bieter ihn kannten und dennoch keine Rüge erhoben haben. Nach der intensiven Diskussion in der mündlichen Verhandlung entschied man sich dazu, diese Position in einem Schriftsatz nach dem Termin noch einmal ausführlich juristisch darzustellen. Als dann drei Wochen später der Beschluss der Vergabekammer kam, hatte sich diese Strategie als erfolgreich herausgestellt. Die Kammer hatte sich zwar nicht von ihrer Ansicht abbringen lassen, dass der Bau eines Parkhauses eine Mindestbedingung für die Planung der Bieter darstellen sollte. Auf den letzten anderthalb Seiten des Beschlusses stellte sie jedoch dar, dass ihr ein Aufgreifen dieses vermeintlichen Vergabeverstoßes von Amts wegen nicht möglich sei, zumal die zitierten Entscheidungen, insbesondere des OLG Düsseldorf, dies unmöglich machten. Der Nachprüfungsantrag des unterlegenen Bieters wurde zurückgewiesen. Kurze Zeit später erhielt die Depenbrock Systembau GmbH & Co. KG von der Stadt Dortmund den Auftrag für die Errichtung des neuen Schulkomplexes.