Volkswagen ist nicht nur Europas größter Autohersteller und Deutschlands größter Industriekonzern, sondern auch ein relevanter Stromproduzent, vor allem für den eigenen Gebrauch. Eines der unter der Betriebsführung der VW Kraftwerk GmbH in Wolfsburg stehenden Heizkraftwerke wurde in den vergangenen Jahren durch eine Gas- und Dampfturbinenanlage (GuD-Anlage) erneuert. Für die Neuerrichtung der GuD-Anlage Wolfsburg-West wurde ein japanischer Anlagenbaukonzern als Generalunternehmer ausgewählt. Dass im Laufe des Projekts die Covid-Pandemie und der Ukrainekrieg den Bau verzögern würden, war natürlich bei Vertragsbeginn nicht absehbar. Es gab aber auch ganz »konventionelle« Störungsereignisse, wie etwa die Bodenverhältnisse für die Gründung des Kraftwerksbaus, die wegen der besonders schweren Einbauten, wie etwa Turbinen, besonders genau betrachtet werden mussten.
Dies nahm der Generalunternehmer zum Anlass, mehr als 10 Mio. Euro Zusatzkosten aus Verzögerungen in der Gründungsphase des Projekts geltend zu machen. Diverse Verhandlungsrunden erbrachten dazu kein Einvernehmen, sodass eine streitige Entscheidung herbeigeführt werden musste.
Im Industriegeschäft ist es mittlerweile üblich geworden, derartige Streitigkeiten nicht auf dem »ordentlichen Rechtsweg«, also vor Land- und Oberlandesgerichten, auszutragen, sondern von vorneherein ein Schiedsgericht zu vereinbaren. Bereits im Vertrag wird festgelegt, dass etwaige Rechtsstreitigkeiten nicht vor die staatlichen Gerichte gehen, sondern dass ein Schiedsgericht gemäß § 1029 ZPO vereinbart wird. Die Zivilprozessordnung (ZPO) regelt nämlich nicht nur bürgerliche Streitigkeiten vor den ordentlichen Gerichten, sondern auch ausdrücklich Schiedsgerichtsverfahren. Meist wird im Vertrag aber auch noch zusätzlich die Geltung einer Schiedsgerichtsordnung vereinbart, wie sie etwa von der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) oder der Internationalen Handelskammer (ICC) bereitgestellt wird. Diese Institutionen administrieren auch den Ablauf der Schiedsgerichtsverfahren, indem sie etwa bei der Auswahl der Schiedsrichter unterstützen, Kostenvorschüsse für deren Honorare einsammeln und bei der Abfassung eines Schiedsspruchs beraten.
Die Volkswagen AG wollte bei diesem wichtigen Verfahren erfahrene Anwälte an ihrer Seite wissen, die sowohl im Bau- und Anlagenbau wie auch in Schiedsverfahren besondere Erfahrungen aufweisen konnten. Daher wählte man ein Team von Leinemann Partner als Verfahrensbevollmächtigte aus. Unter Federführung von Ralf Leinemann begleiteten Petra Gorny, Anuschka Pauly, Timm Schoof und Thomas Maibaum das gesamte Schiedsgerichtsverfahren.
Die Beteiligten sehen es bei Schiedsverfahren stets als Vorteil an, dass von ihnen selbst ausgewählte kompetente Persönlichkeiten als Schiedsrichter tätig werden können. Es muss bei der Auswahl lediglich beachtet werden, dass die benannten Personen in keinem Näheverhältnis zu einer der Parteien oder ihrer Anwälte stehen. Wenn das berücksichtigt wird, kommt in der Regel ein sehr qualifiziertes Schiedsgericht zusammen – so am Ende auch in diesem Fall. Doch die Ouvertüre zum Verfahren verlief zunächst etwas holprig: Der von Volkswagen benannte Schiedsrichter wurde ohne triftigen Grund wegen angeblicher Besorgnis der Befangenheit von der Klägerin abgelehnt. Über diese Ablehnung hatte die administrierende Schiedsorganisation der DIS nach Anhörung aller Beteiligten separat zu entscheiden. Sie lehnte den Befangenheitsantrag ab. Kurz darauf stellte sich auch noch heraus, dass der von der Klägerin benannte Schiedsrichter »vergessen« hatte, dass er in anderer Sache bereits gegen die Volkswagen AG tätig war. Solche Umstände sind von Schiedsrichtern bei ihrer Benennung eigentlich offenzulegen. Auf den prompten Befangenheitsantrag gegen diesen Schiedsrichter legte dieser dann auch umgehend sein Mandat nieder, sodass ein neutraler Ersatzkandidat benannt wurde. Danach einigten sich beide Schiedsrichter auf den Vorsitz, sodass das Verfahren schließlich offiziell starten konnte.
Nach einer ersten mündlichen Verhandlung und ausführlichen Hinweisen des Schiedsgerichts an die Parteien wurden Fristen für ergänzenden Vortrag und eine neue mündliche Verhandlung vereinbart. Vor dem Hintergrund des Parteivortrags und der Einschätzung des Gerichts fanden in den Folgemonaten Gespräche zwischen den Parteien statt, die über den Klagegegenstand hinaus die Gesamtfertigstellung des Kraftwerks und bestimmte Leistungsparameter zum Gegenstand hatten. Wenige Tage vor Durchführung der vereinbarten zweiten mündlichen Verhandlung konnte das Verfahren im Rahmen eines Gesamtvergleichs durch Klagerücknahme beendet werden. Im Ergebnis stand damit der Preis für das gesamte betriebsfertige Kraftwerk sowie der Fertigstellungstermin fest. Das Projekt blieb im Budget, und das Kraftwerk konnte inzwischen einen erfolgreichen Probebetrieb mit leicht verbesserten Leistungsparametern absolvieren.
Matthias Barkowski, Geschäftsführer der VW Kraftwerk GmbH, ist mit dem Ergebnis des Verfahrens und der Betreuung durch das Leinemann-Team sehr zufrieden: »Erfahrung und Fachkompetenz unserer Anwältinnen und Anwälte des Leinemann-Teams haben uns überzeugt. Vielen Dank dafür!«. Seit Herbst 2023 läuft die Strom- und Wärmeproduktion des neuen GuD-Kraftwerks auf vollen Touren. Alles unter Strom!