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Im Milieuschutzgebiet kann auch die Zusammenlegung zweier benachbarter und selbstgenutzter Eigentumswohnungen versagt werden

VG Berlin, Urteil vom 08.09.2015 - 19 K 125.15;
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.03.2018 – 2 N 64.15

Der Klägerin gehörten zwei nebeneinander liegende Wohnungen (35 m² und 53 m²), die sie selbst bewohnte. Sie beabsichtigte, diese durch eine Wandöffnung (1,40 m x 2,10 m) zusammenzulegen. Das Bezirksamt (Beklagter) lehnte die Genehmigung für die Zusammenlegung aus Gründen des Milieuschutzes ab; wie das VG Berlin entschied: mit Recht. Den Antrag auf Zulassung der Berufung wies das OVG Berlin-Brandenburg zurück.

Die Wohnungen liegen im räumlichen Geltungsbereich einer Erhaltungsverordnung für das Gebiet „Barbarossaplatz/Bayerischer Platz“ im Bezirk Tempelhof-Schöneberg (GVBl. S. 327; online abrufbar). Die Erhaltungsverordnung ist eine sog. Milieuschutzverordnung im Sinne des § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BauGB. Nach ihrer Begründung sollen in der Regel keine Genehmigungen für die Schaffung großzügiger Wohnungsgrundrisse erteilt werden. Hierdurch soll die Bevölkerungsstruktur erhalten werden, die in einer gewachsenen Mischung aus größeren Haushalten mit tendenziell höheren Einkommen und kleineren Haushalten mit tendenziell geringeren Einkommen bestehe. Ein Teil der Bevölkerung – vornehmlich ältere Personen und Rentner mit hoher Ortsbindung – lebe in relativ preiswerten, kleineren Wohnungen aus der Nachkriegszeit. Dieser Wohnungsbestand stelle ein besonderes Angebotssegment dar, das in der Berliner Innenstadt relativ wenig vorhanden und für kleine Haushalte mit geringeren Einkommen derzeit nicht zu ersetzen sei.

Nach Ansicht des VG unterliegt die Wohnungszusammenlegung dem Genehmigungsvorbehalt der Erhaltungsverordnung. Erhaltungsrechtlich relevant sind alle Vorhaben, die grundsätzlich geeignet sind, das Schutzziel der Erhaltungsverordnung zu beeinträchtigen. Das sei der Fall, da dem Markt durch die Zusammenlegung eine für kleinere Haushalte geeignete Wohnung entzogen würde.

Die Klägerin konnte nicht mit Erfolg geltend machen, die geplante Zusammenlegung diene zur Herstellung eines „zeitgemäßen Ausstattungszustands unter Berücksichtigung der bauordnungsrechtlichen Mindestanforderungen“ gem. § 172 Abs. 4 S. 3 Nr. 1 BauGB. Die Vorschrift sei schon nicht einschlägig, da die Wohnungsgröße kein Merkmal des Ausstattungszustands sei. Die Vorschrift ziele vielmehr darauf, einen bauordnungsrechtlichen „Substandard“ in Milieuschutzgebieten zu vermeiden. Davon abgesehen, könne überhaupt nicht angenommen werden, dass eine Wohnung mit einer Größe von 35 m² hinter dem heutigen Standard (im Bundesgebiet) zurückbleibe.

Auch auf § 172 Abs. 4 S. 1 BauGB berief sich die Klägerin vergeblich. Nach dieser Vorschrift darf die Genehmigung unter Umständen nur versagt werden, wenn hierdurch die Bevölkerungsstruktur aus besonderen städtebaulichen Gründen erhalten werden soll. Dabei kommt es nicht darauf an, dass Anwohner – wie die Klägerin – erst durch Schaffung größerer Wohnungen im Gebiet gehalten werden können; auf eine konkrete Verdrängungsgefahr kommt es nicht an (ähnlich VG Berlin, Urteil vom 16.05.2018 - 19 K 559.17). Dass die Klägerin plante, die zusammengelegte Wohnung weiter selbst zu bewohnen, hatte demnach außer Betracht zu bleiben, da mittel- und langfristig ohnehin keine Gewähr dafür besteht, dass es infolge der Maßnahme zu keiner konkreten Verdrängung kommen kann.

Fazit:

Die Klägerin beharrte darauf, dass die Erhaltungsverordnung nicht der Wohnungszusammenlegung entgegenstehen dürfe, weil diese im Fall der Vermietung nicht zu einem höheren m²-Preis führe. Sie verwies auf die Entscheidungen des OVG Berlin vom 10.06.2004 (2 B 3.02) und 31.05.2012 (10 B 9.11), in denen es um bauliche Maßnahmen ging (Erneuerung von Elektroleitungen, Einbau einer Etagenheizung bzw. Einbau eines Aufzugs), die eine Erhöhung der m²-Miete und Verdrängung der ansässigen Wohnbevölkerung nach sich ziehen konnten. VG und OVG stellten klar, dass bauliche Änderungen milieuschutzrechtlich auch dann relevant sind, wenn die Änderung der Wohnungsstruktur eine Änderung der geschützten Bevölkerungsstruktur zur Folgen haben kann, ohne dass eine Steigerung der m²-Miete zu befürchten ist.

Das OVG hatte keine Bedenken gegen die Beurteilung des VG, wonach der Erhalt kleinerer Haushalte mit geringerem Einkommen und das Interesse solcher Haushalte an einem Zuzug in das Gebiet dem Schutzzweck der Erhaltungsverordnung unterfallen. Wenn in der Verordnungsbegründung der Erhalt der gewachsenen Bevölkerungsstruktur betont würde, so das OVG weiter, lasse sich daraus nicht ableiten, dass der Schutz des Bestands kleinerer preisgünstigerer Wohnungen deshalb zurücktreten müsste, weil Bewohner des Gebiets aus familiären Gründen eine größere Wohnung benötigen (wie die Klägerin, die schon seit mehr als 20 Jahre dort wohne). Das gelte umso mehr, als nach der Verordnungsbegründung verhindert werden solle, dass die bezirklichen Angebote für Kinder durch Wohnungsvergrößerungen überlastet werden.

Weitere Artikel dieser Ausgabe

  • Michael Göger, LL.M.: Die Bedeutung von Milieuschutz im Städtebau – Ein Überblick

     

  • Shushanik Röcker, LL.M.: Die Genehmigung im Milieuschutz – Voraussetzungen, Versagungsgründe und Ausnahmen

     

  • Zum Umfang der Veräußerungsverpflichtung nach § 172 IV 3 Nr. 6 BauG

     

  • Ablauf des Erlasses einer Milieuschutzsatzung. Wirkungen des Aufstellungsbeschlusses. Keine Genehmigungspflicht trotz Aufstellungsbeschluss.