News | Newsletter | Neues zum Immobilienrecht 02/2016
Das Vorkaufsrecht des Mieters nach Aufteilung und Begründung von Wohneigentum
Ein Vorkaufsrecht des Mieters entsteht nach Umwandlung der Mietsache gemäß § 577 Abs. 1 S. 1 BGB. Dieser beinhaltet zwei Alternativen, die gleichberechtigt nebeneinander stehen. Die erste Alternative knüpft an die tatsächliche Begründung von Wohnungseigentum an, die zweite Alternative an die Absicht, Wohnungseigentum zu begründen.
BGH, Urteil vom 06.04.2016 - VIII ZR 143/15
Die Kläger sind Mieter einer Wohnung der Beklagten. Sie haben am 17.11.2010 einen Mietvertrag mit der Beklagten geschlossen, die Wohnung wurde ihnen am 15.12.2010 überlassen. Bereits am 28.09.2010, vor Abschluss des Mietvertrags und vor Überlassung der Räumlichkeiten an die Kläger, ließ die Beklagte die Teilungserklärung für das Objekt notariell beurkunden. Mit Vertrag vom 16.12.2010 veräußerte die Beklagte die von den Klägern angemietete Wohnung. Am 23.12.2010 erfolgte die Eintragung der Teilungserklärung in das Grundbuch. Erst im November 2013 erlangten die Kläger Kenntnis vom Verkauf der Wohnung. Sie machen einen Schadensersatzanspruch geltend, da ihr Vorkaufsrecht vereitelt worden sei.
Der BGH kommt zu dem Ergebnis, dass die Klage abzuweisen ist, da die Kläger nicht zum Vorkauf berechtigt waren. Er setzt sich intensiv mit den Voraussetzungen zur Entstehung eines Vorkaufsrechts gemäß § 577 Abs. 1 S. 1 BGB auseinander. Voraussetzung der ersten Alternative ist, dass nach der Überlassung der vermieteten Wohnräume an den Mieter Wohnungseigentum begründet worden ist und dieses dann an einen Dritten verkauft wird. Die Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor. Die Entstehung des Vorkaufsrechts scheitert zwar nicht daran, dass die Beklagte schon vor Überlassung der Mietsache an den Kläger die für die Aufteilung in Wohnungseigentum erforderliche Teilungserklärung hat notariell beurkunden lassen. Die Teilung wird gemäß § 8 Abs. 2 S. 2 WEG erst mit dem Anlegen der Wohnungsgrundbücher wirksam. Entscheidend ist der dingliche Vollzug, der hier mit der am 23.12.2010 erfolgten Eintragung der Teilungserklärung in das Grundbuch bewirkt worden ist. § 577 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB stellt allein auf die Begründung von Wohnungseigentum ab, sodass die bei Mietvertragsabschluss bestehende Kenntnis des Mieters von einer Umwandlungsabsicht der Anwendung dieser Alternative nicht entgegensteht. Aber es ist zusätzlich erforderlich, dass der Abschluss des Kaufvertrags mit dem Dritten der Begründung von Wohnungseigentum zeitlich nachfolgt. Wird das Wohnungseigentum erst nach dem Verkauf begründet, scheidet ein Vorkaufsrecht nach § 577 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB aus (BGH, Urteil vom 21.11.2013 - V ZR 96/12, Rn. 5). Der Kaufvertrag wurde am 16.12.2010 beurkundet, das Wohnungseigentum wurde jedoch erst am 23.12.2010 begründet.
Auch die Voraussetzungen des § 577 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB sind nicht erfüllt. Das Vorkaufsrecht der Kläger scheitert bereits daran, dass die Absicht, Wohnungseigentum zu begründen, nicht erst nach der Überlassung der Wohnräume an die Mieter gefasst und dokumentiert worden ist. Denn das Gesetz spricht ausdrücklich von „vermieteten Wohnräumen, an denen nach Überlassung an den Mieter […] Wohnungseigentum begründet werden soll.“ Damit wird eine bestimmte zeitliche Reihenfolge festgelegt. Erfolgt die Überlassung der Mieträume an den Mieter erst zu einem Zeitpunkt, zu dem das Tatbestandsmerkmal „Wohnungseigentum soll begründet werden“ bereits vorlag, kann ein Vorkaufsrecht nach § 577 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB nicht entstehen, sondern allenfalls - infolge einer später vollzogenen Umwandlung in Wohnungseigentum - ein Vorkaufsrecht nach § 577 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB, sofern dessen weitere Voraussetzungen erfüllt sind. Für eine Begründungsabsicht im Sinne des § 577 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB reicht eine rein innerlich bestehende Absicht nicht aus, vielmehr muss sich diese nach außen manifestieren, denn ansonsten ließe sich nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen, ob und ab wann die Voraussetzung „Wohnungseigentum soll begründet werden“ erfüllt ist. Mit der notariellen Beurkundung der Teilungserklärung wird diese Absicht unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht und manifestiert.
Fazit:
Die Entscheidung zeigt, im Hinblick auf die Frage, ob für den Mieter ein Vorkaufsrecht entsteht oder nicht, dass der zeitliche Ablauf eine entscheidende Rolle spielt. Sofern also der Vermieter ein vermietetes Objekt umwandelt und die einzelnen Wohnungen veräußert, ist ein besonderes Augenmerk auf den Wortlaut des § 577 Abs. 1 S. 1 BGB zu legen und insbesondere dessen zeitliche Dimensionen aufzuklären und zu hinterfragen.
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