News | Newsletter | Neues zum Immobilienrecht 01/2018
Vorschriften zur Einheitsbewertung für die Bemessung der Grundsteuer verfassungswidrig
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfg) hat mit seinem Urteil vom 10.04.2018 (Az. 1 BvL 11/14) die für die Erhebung der Grundsteuer maßgeblichen Regelungen des Bewertungsgesetzes zur Einheitsbewertung des Grundvermögens wegen des Verstoßes gegen das Grundrecht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) für verfassungswidrig erklärt. Das Festhalten des Gesetzgebers an dem Hauptfeststellungszeitpunkt von 1964 führe zu gravierenden und umfassenden Ungleichbehandlungen bei der Bewertung von Grundvermögen, für die es keine ausreichende Rechtfertigung gäbe. Das Bundesverfassungsgericht forderte den Gesetzgeber auf, bis spätestens zum 31. Dezember 2019 eine Neuregelung zu treffen. Nach Verkündung einer Neuregelung darf die Altregelung für weitere fünf Jahre, längstens aber bis zum 31. Dezember 2024 angewandt werden.
Die Grundsteuer wird derzeit noch in einem mehrstufigen Verfahren errechnet. Bindende Grundlage ist der Einheitswert, der von den Finanzbehörden für das jeweilige Grundstück gesondert festgestellt wird (§§ 19, 20 BewG). Er wird mit einer gesetzlich festgelegten Steuermesszahl multipliziert (§ 13 Abs. 1 GrStG). Auf den so berechneten Steuermessbetrag wird schließlich der von der Gemeinde bestimmte Hebesatz angewendet (§ 25 Abs. 1 GrStG).
Einheitswerte sollen nach § 21 Abs. 1 BewG grundsätzlich in Zeitabständen von je sechs Jahren im Wege einer so genannten Hauptfeststellung allgemein festgestellt werden. Nachdem auf der Grundlage des Bewertungsgesetzes von 1934 zwar zunächst auf den 1. Januar 1935 eine Hauptfeststellung durchgeführt worden war, weitere dann aber ausgesetzt wurden, entschloss sich der Gesetzgeber nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, zum System der regelmäßigen periodischen Neubewertung zurückzukehren und die bisherigen Einheitswerte an die neuen Wertverhältnisse heranzuführen. So fand bezogen auf den Hauptfeststellpunkt 1. Januar 1964 eine vollständige Neubewertung des Grundbesitzes in der Bundesrepublik Deutschland statt – danach allerdings nicht mehr.
Seither andauernde Aussetzung der erforderlichen Hauptfeststellungen führt in zunehmendem Maße zu Wertverzerrungen innerhalb des Grundvermögens, für die das BVerfG nun die Grenze erreicht sieht. Auch wenn dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Bewertungsvorschriften für die steuerliche Bemessungsgrundlage ein weiter Spielraum eingeräumt sei, verlange es ein in der Relation der Wirtschaftsgüter zueinander realitätsgerechtes Bewertungssystem, auch wenn dies zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand führt.
Die im Gesetz vorgesehene periodische Wiederholung der Hauptfeststellung sei zentral für das vom Gesetzgeber selbst so gestaltete Bewertungssystem. Ihm liege der Gedanke zugrunde, dass die den Verkehrswert der Grundstücke bestimmenden Verhältnisse einheitlich zum Zeitpunkt der Hauptfeststellung möglichst realitätsnah abgebildet werden. Da diese Verhältnisse während der folgenden Jahre eines Hauptfeststellungszeitraums typischerweise verkehrswertrelevanten Veränderungen unterliegen, bedürfe es in regelmäßigen und nicht zu weit auseinanderliegenden Abständen einer neuen Hauptfeststellung. Anders komme es zwangsläufig zu Abweichungen zwischen dem tatsächlichen Verkehrswert und den auf den Hauptfeststellungszeitpunkt bezogenen Einheitswerten der Grundstücke.
Dieses Auseinanderfallen von Verkehrswert und festgestelltem Einheitswert hält das BVerfG für sich genommen zwar nicht für verfassungsrechtlich bedenklich, die teilweise extrem unterschiedlichen Bewertungen der Grundstücke innerhalb der Vermögensgruppe des Grundvermögens und die sich daraus ergebende Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebotes der Folgerichtigkeit hingegen schon, ebenso die aus der Überdehnung des Hauptfeststellungszeitraums nahezu zwangsläufig resultierenden Wertverzerrungen. Insbesondere in größeren Städten seien gewichtige Abweichungen in bedeutendem Umfang gegeben, „die zu gravierenden und umfassenden Ungleichbehandlungen führen“. Als Hauptursachen für die Wertverzerrungen führt das BVerfG mögliche tiefgreifenden Veränderungen im Gebäudebestand sowie auf dem Immobilienmarkt, die fortschreitende Entwicklung des Bauwesens, die Nichtberücksichtigung wesentlicher Ausstattungsmerkmale, die rasante städtebauliche Entwicklung, aber auch den Ausschluss der Berücksichtigung einer Wertminderung wegen Alters nach dem BewG an.
Der Entscheidung lagen fünf Verfahren zugrunde, und zwei Verfassungsbeschwerden und drei Richtervorlagen des Bundesfinanzhofs im Normenkontrollverfahren. Die beiden Verfassungsbeschwerden bezogen sich jeweils auf eine erhebliche Abweichung des einerseits im Sachwert- andererseits im Ertragswertverfahren ermittelten Einheitswertes für ein und dasselbe Grundstück, die Normenkontrollvorlagen zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit der Einheitsbewertung.
Der Senat hat die Fortgeltung der für verfassungswidrig befundenen Normen in zwei Schritten angeordnet. Zum einen gelten sie für die in der Vergangenheit festgestellten Einheitswerte und die darauf beruhende Erhebung von Grundsteuer und darüber hinaus in der Zukunft zunächst bis zum 31. Dezember 2019. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Gesetzgeber eine Neuregelung zu treffen. Ohne diese Fortgeltungsanordnung hätte ein enormer Verwaltungsaufwand gedroht, wenn noch nicht bestandskräftige Einheitswertbescheide - und in deren Folge auch die darauf beruhenden Grundsteuerbescheide - in einer angesichts der großen Zahl von Grundsteuerschuldnern aller Voraussicht nach erheblichen Größenordnung aufgehoben oder geändert und zumindest zum Teil rückabgewickelt werden müssten. Die Probleme wären dadurch verschärft worden, dass die Aufarbeitung dieser Fälle erst nach Inkrafttreten und Umsetzung der Neuregelung auf der Bewertungsebene und damit erst viele Jahre nach Verkündung dieses Urteils hätte erfolgen können.
Fazit:
Das Urteil gilt formaljuristisch nur für die „alten“ Bundesländer, da es die Hauptfeststellung aus dem Jahre 1964 zum Gegenstand hat. Da für die in den „neuen“ Bundesländern belegenden Grundstücke auf die Einheitswerte aus 1935 zurückgegriffen wird, sind die Werteverzerrungen dort noch viel erheblicher. Eine Neuregelung der Bemessung der Grundsteuer ist seit langem geplant. Eine Bundesratsinitiative von 14 der 16 Bundesländer scheiterte 2016. Das geplante sog. „Kostenwertmodell“ sah vor, für unbebaute Grundstücke auf den Bodenrichtwert abzuheben, der sich aus Verkäufen in der Umgebung ergibt. Für Gebäude würde ein Kostenwert eingeführt, der sich nach der Grundfläche und den pauschalen Herstellungskosten bemisst und je nach Alter um bis zu 70 Prozent gemindert werden kann. Alternativ wird ein sog. „Äquivalenzmodell“ diskutiert, bei dem für die Grundsteuer künftig alleine die Fläche von Grundstücken und Gebäuden entscheidend wäre. Von der Neuregelung sind in Deutschland 35 Millionen Grundstücke betroffen. Das durch die Städte und Gemeinden mit der Grundsteuer generierte Steueraufkommen beläuft sich auf jährlich aktuell 14 Milliarden Euro. Darum ist eines sicher: Günstiger für die Eigentümer wird es sicher nicht.
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