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Formularmäßiger Ausschluss der Einrede der Anfechtbarkeit nach § 770 Abs. 1 BGB wirksam

BGH, Urteil vom 25.01.2022 – XI ZR 255/20

Der Leitsatz

Ein formularmäßiger Ausschluss der Einrede der Anfechtbarkeit nach § 770 Abs. 1 BGB im Bürgschaftsvertrag benachteiligt den Bürgen nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (Fortführung von BGH, Urteil vom 19.09.1985 - III ZR 214/83).

Der Fall

Eine Bürgin wird aus einer Mängelbürgschaft in Anspruch genommen. Sie ist der Ansicht, dass die vielfach verwandte zugrundeliegende Sicherungsabrede:

„Auf die Einreden der Anfechtung, der Aufrechnung sowie der Vorausklage gemäß den §§ 770, 771 BGB wird verzichtet. Der Verzicht auf die Einrede der Aufrechenbarkeit gilt nicht für unbestrittene oder rechtskräftig festgestellte Gegenforderungen des Hauptschuldners“ unwirksam sei.

Die Entscheidung

Die Frage, ob einen Klausel, die die Einrede der Anfechtbarkeit nach § 770 Abs. 1 BGB ohne weiteres ausschließt, ist umstritten. Zwar ist die allgemeine Abdingbarkeit dieser Einrede in Rechtsprechung und Literatur unstrittig (u.a. BeckOK BGB/Rohe, BGB, 61. Edition Stand 01.02.2022, § 770 Rn. 4). Fraglich ist jedoch, ob der formularmäßige Ausschluss des § 770 Abs. 1 BGB wirksam ist. Einerseits wurde eine solche Klausel stets für unwirksam gehalten, weil der Hauptschuldner durch diese Sicherungsabrede unangemessen benachteiligt würde (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB) (LG München, Urt. v. 17.05.2018 – 2 O 14564/17; OLG München, Urt. v. 03.06.2014 – 9 U 3404/13 Bau; OLG München, Beschl. v. 07.11.2018 – 9 U 1903/18 Bau). Andererseits soll eine solche Klausel keinen Wirksamkeitsbedenken begegnen (OLG Rostock, Urt. v. 25.02.2016 – 3 U 73/12; LG Krefeld, Urt. v. 03.07.2013 – 2 O 363/12). In der Literatur wurde zwischenzeitlich angenommen, dass sich die Rechtsprechung in Richtung der Annahme der Unwirksamkeit einer solchen Klausel bewegt (Habersack/Schürnbrand, JZ 2003, 848, 849). Der BGH entscheidet zugunsten der Wirksamkeit der Klausel in einer Linie mit der Vorinstanz (OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 14.05.2020 – 21 U 74/16) und konsistent zu vergangener höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGH, Urt. v. 19.09.1985 – III ZR 214/83; Urt. v. 30.03.1995 – IX ZR 98/94) abgeschlossen.

In § 770 Abs. 1 BGB wird das Recht des Bürgen normiert, Zahlungen an den Gläubiger aus dem Sicherungsvertrag nicht zu leisten, wenn die Voraussetzung einer Anfechtung seitens des Hauptschuldners gegenüber dem Gläubiger bestehen. Der Anwendungsbereich der Norm ist in der Regel begrenzt auf Anfechtungsfälle nach § 123 Abs. 1 BGB, weil eine Irrtumsanfechtung nach § 119 BGB unverzüglich erfolgen muss. Der Ausschluss der Einrede der Anfechtbarkeit führt dazu, dass soweit die Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 BGB für den Hauptschuldner vorliegen, der Bürge vom Gläubiger in Anspruch genommen werden kann. Vor diesem Hintergrund wird argumentiert, dass der Ausschluss dieses Rechts den Bürgen gegenüber Gläubiger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige, weil die Interessen des Gläubigers an seiner Anspruchssicherung durch Inanspruchnahme des Bürgen nicht schutzwürdig seien. Der Verlust der Schutzwürdigkeit beruhe auf dessen in solchen Fällen mutmaßlich arglistigen Verhalten (MüKoBGB/Habersack, 8. Auflage 2020, § 770 Rn. 3). Ferner werde der Bürge gegenüber dem Hauptschuldner grundlos schlechter gestellt, weil dieser die Möglichkeit, bzw. den Zeitpunkt, der Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB in der Hand habe, während der Bürge dem Zahlungsverlangen des Gläubigers in der Situation der möglichen Anfechtung ausgesetzt sei (LG Köln, Urt. v. 20.11.2012 – 27 O 197/12). Vor diesem Abhängigkeitsverhältnis des Bürgen zum Hauptschuldner sei es eine unangemessene Benachteiligung, dass bei einem Ausschluss der Klausel die Zahlungspflicht unmittelbar an das Verhalten des Hauptschuldners hinsichtlich der Anfechtung gebunden sei (Graf von Westphalen/Thüsing/Vogt, Vertragsrecht und AGB Klauselwerke, 47. EL. August 2021, Bürgschaft Rn. 44). Dabei würde dem Bürgen unbillig das Prozess- und Insolvenzrisiko der Rückzahlung nach Anfechtung aufgebürdet (Windorfer, NZBau 2017, 460). Im Übrigen sei eine solche Klausel unwirksam, weil auch der formularmäße Ausschluss der Einrede der Aufrechenbarkeit nach § 770 Abs. 2 BGB ohne Ausnahme unbestrittener oder rechtskräftig festgestellter Gegenforderung unwirksam sei (BeckOK BGB/Rohe, BGB, 61. Edition Stand 01.02.2022, § 770 Rn. 4; OLG München, Urt. v. 03.06.2014 – 9 U 3404/13 Bau).

Dem widerspricht der BGH. Eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB liege nicht vor. Zu einer wie vorinstanzlich vorgenommenen Interessensabwägung (OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 14.05.2020 – 21 U 74/19) komme es aber nicht. Es fehle bereits an einem zur Erfüllung des Normtatbestands notwendigem Nachteil von einigem Gewicht für den Bürgen, weil die Einrede praktisch bedeutungslos sei. Der Anwendungsbereich sei nur auf Fälle der Arglist und widerrechtlichen Drohung nach § 123 Abs. 1 BGB begrenzt. Der mögliche Schwebezustand bis zur Anfechtungsausübung des Hauptschuldners sei kein gewichtiger Nachteil, weil der Bürge die Arglisteinrede des Hauptschuldners gemäß §§ 853, 768 Abs. 1 S. 1 BGB ausüben könne. Zwar seien die Voraussetzungen einer solchen Einrede höher, jedoch enge es den Anwendungsbereich des § 770 Abs. 1 BGB auf praktische Bedeutungslosigkeit ein. Ferner verhelfe die Einrede der Anfechtbarkeit ohnehin nur zu einer schwachen Rechtsposition, weil der Gläubiger auch mit dieser Einrede keinen Einfluss auf die Anfechtungsausübung des Hauptschuldners habe. Die Arglisteinrede nach §§ 853, 768 Abs. 1 S. 1 BGB wirke hingegen auch noch über die einjährige Anfechtungsfrist hinaus, indem sie peremptorisch sei. Das Argument der fehlenden Schutzbedürftigkeit des arglistig täuschenden Gläubigers könne auch keine der Unwirksamkeit einer solchen Klausel begründen, denn eine fehlende Schutzbedürftigkeit einer Partei begründe noch keinen Nachteil für die andere Partei. Ferner sei die Klausel auch nicht unwirksam, wenn die Ausnahme unbestrittener oder rechtskräftig festgestellter Anfechtungsgründe nicht inkludiert wäre, weil die dazu bestehende Rechtsprechung zur Aufrechenbarkeit nach § 770 Abs. 2 BGB (BGH, Urt. v. 24.10.2017 – XI ZR 600/16) nicht auf einen Ausschluss der Einrede der Anfechtbarkeit anwendbar sei. Zuletzt sei auch der Grundsatz der Akzessorietät nicht betroffen, weil das unausgeübte Anfechtungsrecht ohne Einfluss auf die Wirksamkeit der Hauptverbindlichkeit sei. Im Ergebnis macht es für den erkennenden Senat keinen Unterschied, ob die Einrede nach § 770 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist oder nicht.

Fazit

Der Ausschluss einer obsoleten Norm ist kein Nachteil. Der Überfluss besteht hier aufgrund der wirksameren Parallelnorm nach §§ 853, 768 Abs. 1 BGB. Aufgrund dieser Parallelnorm verfängt auch das Argument der mutmaßlichen Abhängigkeit von der Anfechtungsausübung des Hauptschuldners nicht. Nicht jeder Ausschluss einer bürgschaftsrechtlichen Schutzvorschrift ist eine unangemessene Benachteiligung entgegen von Treu und Glauben. Erschwerend kommt hinzu, dass der Bürge bei der Ausübung der Einrede der Anfechtbarkeit darlegungs- und beweisbelastet ist. Dogmatisch nicht relevant, aber für die Praxis bedenklich, ist die Folge der Annahme der Unwirksamkeit der Klausel, mithin der Sicherungsvereinbarung. Diese werden im vorinstanzlichen Urteil (OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 14.05.2020 – 21 U 74/16) treffend dargestellt: Zum einen wären sämtliche Bürgschaftsvereinbarungen mit dieser Regelklausel unwirksam, was allein sicher noch kein Argument für eine Wirksamkeit begründet. Zum anderen aber müssten die Hauptschuldner in diesen Fällen die Bürgschaften zurückverlangen mit der Folge, dass auf Seiten des Gläubigers ein Anspruch auf Überreichung einer einredeverzichtsfreien Bürgschaft besteht, dessen zukünftige Durchsetzung dem Gläubiger aufgrund der Grundursache, der Inanspruchnahme aus einem bereits fälligen Gewährleistungsanspruch, nicht dienlich ist. Die höchstrichterliche Feststellung der Wirksamkeit einer solchen Klausel war zwar nicht neu, schien aufgrund der gespaltenen Rechtsprechung nötig zu sein, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung wiederherzustellen. Das LG und das OLG München haben beispielsweise pauschal mit Verweis auf höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Unwirksamkeit einer ähnlichen Klausel, die aber auch den ausnahmslosen Ausschluss der Einrede der Aufrechenbarkeit beinhaltete, die Unwirksamkeit beschieden (LG München, Urt. v. 17.05.2018 – 2 O 14564/17; OLG München, Urt. v. 03.06.2014 – 9 U 3404/13 Bau). Dabei wurde stets die fehlende Vergleichbarkeit verkannt. Richtigerweise setzt sich der erkennende Senat in der Urteilsbegründung vertieft mit der Gegenargumentation auseinander und kommt zu dem gut begründeten Ergebnis der Wirksamkeit einer formularmäßigen Klausel zum Ausschluss der Einrede der Anfechtbarkeit nach § 770 Abs. 1 BGB.

Autor

Dr. Thomas Hildebrandt

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