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Vorvertragliche Hinweispflichten – Was gilt?

OLG Celle, Urteil vom 02.10.2019 - 14 U 171/18

Heißt es in den Leitsätzen zu der Entscheidung des OLG Celle vom 02.10.2019, dass sich für den Auftragnehmer aus dem „Grundsatz des Gebots zu korrektem Verhalten bei Vertragsverhandlungen“ eine Prüfungs- und Hinweispflicht für den Fall ergibt, dass die Vergabe- und Vertragsunterlagen offensichtlich falsch sind, und der Auftragnehmer bei Unterlassen des gebotenen Hinweises nach dem Grundsatz von Treu und Glauben an der Geltendmachung einer zusätzliche Vergütung gehindert sei, so geben diese Leitsätze Anlass zur Richtigstellung.

Zum Sachverhalt: Der beklagte Auftraggeber (AG) beauftragte den klagenden Auftragnehmer (AN) mit Straßenbau- und Straßenentwässerungsarbeiten. Nach Abschluss der Arbeiten begehrt der AN zusätzliche Vergütung. Er meint, er habe die Straßenbauarbeiten unter erschwerten Bedingungen erbringen müssen, weil die zwischen den beiden Richtungsfahrbahnen verlaufenden Gleise der Stadtbahn über die Bauzeit nicht gesperrt worden seien. Der AN beruft sich auf das LV zum Straßenbau, in welchem es unter "Ausführung der Bauleistung" heißt: "Herstellen Fahrbahn unter Vollsperrung (analog Regelplan B I / 17 RSA 95)“. Der im Klammerzusatz in Bezug genommene Regelplan zeigt eine Sperrung allein der Richtungsfahrbahnen. Im LV zu den Entwässerungsarbeiten heißt es zudem: "Die Stadtbahn im R. S. wird an 3 Stellen durch die geplanten Rohrverlegearbeiten in offener Bauweise gekreuzt. Der Stadtbahnverkehr bleibt in Betrieb“.

Das OLG Celle weist die Berufung der AN zurück: Bei Unklarheiten sei ein Bauvertrag als sinnvolles Ganzes auszulegen. Grundlage der Auslegung sei der objektive Empfängerhorizont der potentiellen Bieter, nicht das subjektive Verständnis des Auftraggebers von seiner Ausschreibung. Neben dem Wortlaut des Vertrags seien die Umstände des Einzelfalls, unter anderem die konkreten Verhältnisse des Bauwerks, sowie die Verkehrssitte und Treu und Glauben zu berücksichtigen. Es müsse davon ausgegangen werden, dass der Anbieter eine Leistung widerspruchsfrei anbieten will. Bei Unklarheiten über nicht von vornherein in Übereinstimmung zu bringende Vertragserklärungen habe sich die Auslegung zunächst an demjenigen Teil zu orientieren, der die Leistung konkret beschreibt. Dabei komme dem Wortlaut der Leistungsbeschreibung gegenüber etwaigen Plänen jedenfalls dann eine vergleichsweise große Bedeutung zu, wenn sich die Pläne im Vergleich zum Wortlaut nicht im Detail an dem angebotenen Bauvorhaben orientierten. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stünde dem AN der geltend gemachte Mehrvergütungsanspruch nicht zu. Dem im LV in Bezug genommenen Regelplan sei selbst für einen Laien zu entnehmen, dass eine Sperrung lediglich der Fahrbahnen, nicht der Gleise erfolgen sollte. Zudem seien die Maßnahmen "Straßenbau" und "Entwässerung" im Paket ausgeschrieben worden. Soweit es im LV der Stadtentwässerung also heißt, dass der Stadtbahnverkehr in Betrieb bleibt, habe der AN hiervor nicht die Augen verschließen dürfen.

Fazit:

Falsche Leitsätze, richtige Entscheidung! Die abweisende Entscheidung gründet nicht, wie die Leitsätze vermuten lassen, auf einer vorvertraglichen Hinweispflichtverletzung. Vielmehr setzt das OLG Celle ordnungsgemäß die gefestigte Rechtsprechung des BGH um, dass allem voran die Auslegung des Vertrags steht (vgl. BGH, Urteil vom 12.09.2013, VII ZR 227/1, IBR 2013, 664; Urteil vom 13.03.2008, VII ZR 194/06; Urteil vom 11.11.1993, VII ZR 47/93).

Es gibt keinen, insbesondere keinen vom BGH aufgestellten Grundsatz, dass der AN mit Mehrvergütungsansprüchen ausgeschlossen ist, wenn er den AG in der Ausschreibungsphase nicht auf einen offenkundigen Fehler in der Ausschreibung hinweist. Fehlen kalkulationserhebliche Angabe, ist die Leistungsbeschreibung also unter kalkulatorischen Gesichtspunkten lückenhaft, ist der AN jedoch gut beraten, den AG um Aufklärung zu bitten und nicht "ins Blaue hinein" mit der für ihn günstigsten Ausführungsvariante zu kalkulieren (BGH, Urteil vom 25.02.1988, VII ZR 310/86, BauR 1988, 338). Tut er dies doch, geht er das in diesem Fall große Risiko ein, dass das erkennende Gericht – im Wege der Auslegung – zu dem Ergebnis kommt, der Bieter habe trotz oder gerade wegen der erkennbar fehlerhaften Ausschreibungsunterlagen mit der Angebotsabgabe erklärt, den werkvertraglichen Erfolg herbeizuführen. Anders liegt der Fall, wenn die Leistungsbeschreibung aus kalkulatorischer Sicht nicht unklar, sondern lediglich unvollständig ist. Eine unvollständige Leistungsbeschreibung, so das OLG München (vgl. OLG München, Beschluss vom 04.04.2013 - Verg 4/13, IBR 2013, 299), dürfe der Bieter sogar zu seinem Vorteil nutzen. Diese Entscheidung ist richtig. Ist es doch umgekehrt (bis zur Grenze der Zumutbarkeit, vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 02.07.2019, 16 U 975/19) auch dem Auftraggeber gestattet, auf ein offenkundig kalkulationsfehlerbehaftetes Angebot den Zuschlag zu erteilen.

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