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Nachtragsberechnung anhand von Selbstkosten auch bei geänderten Leistungen nach § 2 Abs. 5 VOB/B?

Kammergericht Berlin, Urteil vom 27.08.2019, Az.: 21 U 160/18

Im Anschluss an das wegweisende Urteil des BGH zur Bemessung des neuen Einheitspreises bei Mehrmengen nach § 2 Abs. 3 VOB/B vom 08.08.2019, Az.: VII ZR 34/18, sieht sich das Kammergericht in seiner Entscheidung vom 10.07.2018, Az.: 21 U 30/17, bestätigt und versucht nunmehr mit seinem Urteil vom 27.08.2019, Az.: 21 U 160/18 die Erwägungen des BGH auf die Ermittlung eines neuen Einheitspreises geänderter Leistungen nach § 2 Abs. 5 und Abs. 6 VOB/B zu übertragen. Demnach seien Bemessungsgrundlage des Mehrvergütungsanspruchs aus § 2 Abs. 5 und Abs. 6 VOB/B die tatsächlichen Mehr- und Minderkosten, die dem Auftragnehmer aufgrund der Leistungsänderung entstehen, sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbart haben.

Im Einzelnen: Unter Einbeziehung der VOB/B schrieb der Auftraggeber (AG) Bauleis-tungen für den Umbau eines Bahnhofes aus. Die Auftragnehmerin (AN) unterbreitete dem AG für ein Teillos ein Angebot über rund 27,2 Mio Euro, für das sie im Jahr 2013 den Zuschlag erhielt. Die danach zu errichtende Brückenkonstruktion war nach dem Leistungsverzeichnis an ihren Außenseiten teilweise durch gesonderte Bauteile aus Stahlbeton, sog. Randkappen abzudecken. Im Laufe des Umbaus stellte sich heraus, dass diese nicht nur für Teilbereiche, sondern durchgehend erforderlich waren. Hierfür erstellte die AN ein Nachtragsangebot in Höhe von rund 31.000 Euro, die sie nunmehr klageweise geltend machte. Die Einheitspreise der Randkappen ermittelte die AN an-hand der vertraglichen Einheitspreise für die im Leistungsverzeichnis teilweise vorgesehenen Abdeckungen, die sie hinsichtlich erhöhter Materialkosten aufgrund der vom Leistungsverzeichnis abweichenden Breiten anpasste.

Das Kammergericht gab der Klage hinsichtlich der o.g. Nachtragsvergütung statt. Hierzu führte es aus, dass die Grundlage des Mehrvergütungsanspruchs aus § 2 Abs. 5 und Abs. 6 VOB/B die tatsächlichen Mehr- und Minderkosten seien, die dem Unternehmer aufgrund der Leistungsänderung entstehen. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass die Kalkulation der AN grundsätzlich dazu diene, die Kosten anzugeben, die dieser durch die Vertragsdurchführung entstehen. Es sei daher zu vermuten, dass die aufgrund der Kalkulation errechnete Mehrvergütung auf Grundlage der tatsächlichen Mehrkosten ermittelt sei. Hierbei übersieht das Kammergericht aber, dass der BGH in seiner, durch das Kammergericht in Bezug genommenen Entscheidung vom 08.08.2019, Az.: VII ZR 34/18 eben gerade nicht ausschließlich auf tatsächliche Kosten abstellt. Vielmehr nimmt er eine differenzierte, zweigeteilte Betrachtung vor, nach der die Mehrmengen nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B (Mengen der Kalkulation zzgl. 10 %) nach der ursprünglichen Kalkulation angesetzt und allein die darüber hinausgehenden Mehrmengen gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B anhand der tatsächlichen Kosten nebst angemessener Zuschläge ermittelt werden. Damit trägt er dem Grundsatz ergänzender Vertragsauslegung Rechnung, nach dem ermittelt wird, welche Regelung die Parteien getroffen hätten, wenn sie die unvorhergesehenen Mehrmengen von Beginn an bedacht hätten. Damit wird keine der Parteien über Gebühr belastet und ein angemessener Interessenausgleich herbeigeführt.

Fazit:

Dass die Heranziehung von Selbstkosten auch bei § 2 Abs. 5 VOB/B zu einem angemessenen Interessenausgleich führt, dürfte zweifelhaft sein. Denn die Preisermittlung für geänderte Leistungen nach § 2 Abs. 5 VOB/B gestaltet sich entscheidend anders. Hier ist eine zweigeteilte Betrachtung - wie sie der BGH bei den Mehrmengen vornimmt - nicht möglich. Schließlich basiert das Erfordernis der Festlegung eines gänzlich neuen Einheitspreises allein auf dem Umstand, dass die ursprünglich von den Parteien vereinbarte Leistung aus dem Leistungsumfang herausgenommen und durch die geänderte Leistung ersetzt wird. Zöge man für die Ermittlung des Einheitspreises der geänderten Leistung nach § 2 Abs. 5 VOB/B nunmehr ausschließlich die tatsächlichen Kosten heran, so bliebe der ursprünglich auf dem freien Markt vereinbarte Preis gänzlich außer Betracht. Das Ergebnis erscheint daher auch im Lichte der in Bezug genommenen oberstgerichtlichen Rechtsprechung nicht sachgerecht, weil es die potentiellen tatsächlichen Interessen der Parteien außer Acht lässt. So eröffnet diese Rechtsprechung dem Auftraggeber die Möglichkeit geänderte Leistungen, unter Ausblendung der ursprünglich verhandelten Konditionen, zum Selbstkostenpreis zu erlangen. Umgekehrt sieht sich dieser der Gefahr ausgesetzt, dass die Auftragnehmer bei Beauftragung von Nachtragsleistungen keine guten Preise mehr verhandeln. Die Heranziehung tatsächlicher Mehrkosten birgt demnach die Gefahr, dass eine der Parteien erheblich über Gebühr belastet wird. Vor diesem Hintergrund scheint eine Übertragung der Erwägungen des BGH zu § 2 Abs. 3 VOB/B auf die Ermittlung des Preises geänderter Leistungen nach § 2 Abs. 5 VOB/B ausgesprochen zweifelhaft. Die Revision wurde durch das Kammergericht nicht zugelassen. Es bleibt daher abzuwarten, wie und wann sich der BGH zur Bemessungsgrundlage des Mehrvergütungsanspruchs aus § 2 Abs. 5 und Abs. 6 VOB/B äußern wird. Bis dahin bleibt es in der Praxis jedenfalls ratsam, diese ausdrücklich von Beginn an vertraglich zu vereinbaren.

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