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Die Europarechtswidrigkeit der verbindlichen HOAI-Sätze ist durch die Gerichte von Rechts wegen zu beachten: Eine richtlinienkonforme Auslegung ist möglich!

OLG Celle, Urteil vom 14.08.2019 – 14 U 198/18

Ein Ingenieur macht eine Honorarnachforderung in Höhe von EUR 441.004,89 aus fünf Ingenieurverträgen mit Pauschalpreisvereinbarung geltend, die bereits Jahre zuvor mit Schlussrechnungen in Höhe von insgesamt EUR 75.550,04 abgerechnet und durch den Auftraggeber (AG) bezahlt wurden. Er beruft sich auf eine unzulässige Unterschreitung der Mindestsätze der HOAI 2009. Der AG wies die Nachzahlungsaufforderung zunächst außergerichtlich zurück, woraufhin der Ingenieur Zahlungsklage vor dem Landgericht erhob. Die Klage wurde abgewiesen. Zum einen sei das zugrunde liegende Gutachten über den Nachforderungsbetrag fehlerhaft, wodurch der Ingenieur seiner Darlegungs- und Beweislast bzgl. der Mindestsatzunterschreitung nicht genügt habe. Zum anderen verstoße die Aufforderung zur Nachzahlung gegen Treu und Glauben gem. § 242. Mit der Berufung verfolgte der Ingenieur die Verurteilung des AG insbesondere unter Berufung auf dessen Darlegungs- und Beweislast bzgl. der Einhaltung der Mindestsätze der HOAI weiter.

Ohne Erfolg! Das OLG Celle wies die Berufung des Ingenieurs zurück, ließ aber die Revision zu. Es schloss sich der Entscheidung des Landgerichts hinsichtlich der Unschlüssigkeit der Klage als auch in Bezug auf eine Verletzung des § 242 BGB an. Darüber hinaus verwies es auf die vom EuGH festgestellte Europarechtswidrigkeit der verbindlichen Höchst- und Mindestsätze der HOAI. Es stellte fest, dass die nationalen Gerichte wegen des Anwendungsvorrangs des Europarechts nunmehr verpflichtet sind, die bisher verbindlichen HOAI-Sätze bereits in laufenden Verfahren nicht mehr anzuwenden. Dies begründete es wie folgt:

Eine an den Vorschriften des Rechts der Europäischen Union zu messende Norm ist nur nach Maßgabe ihrer Auslegung durch den EuGH anzuwenden. Dieser hat mit Feststellungsurteil vom 04.07.2019, Rs. C-377/17, eine Verletzung der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG durch die verbindlichen Honorarsätze festgestellt. Entgegen der Ansicht des OLG Hamm (OLG Hamm, Urteil vom 23.07.2019, 21 U 24/18) ist die Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG unter Zugrundelegung der durch den EuGH konstituierten Voraussetzungen unmittelbar anwendbar und bedarf somit keines nationalen Umsetzungsaktes. Eine Verletzung der Richtlinie ist somit unverzüglich zu berücksichtigen. Anders als privatrechtsgestaltende Richtlinien, für die der EuGH eine unmittelbare Anwendbarkeit im Wesentlichen ausschließt, dient die Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG der Beseitigung von europarechtswidrigen Beschränkungen der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Sie richtet sich somit, vergleichbar mit den Grundfreiheiten, an die Mitgliedstaaten und dient nicht der Harmonisierung bestimmter Aspekte des Privatrechts. Im Übrigen ist die Umsetzungsfrist für die bestimmten und vorbehaltlosen Regelungen der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG bereits am 28.12.2006 abgelaufen. Sie ist somit bereits seit diesem Zeitpunkt unmittelbar anwendbar.
Das Feststellungsurteil des EuGH und die unmittelbare Anwendbarkeit der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG begründen nach Ansicht des OLG Celle die sofortige Berücksichtigung der festgestellten Europarechtswidrigkeit. Dies hat nach dem Umsetzungsgebot des Art. 288 Abs. 3 AEUV und dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue gem. Art. 4 Abs. 3 EUV unverzüglich durch Außerachtlassung der Höchst- und Mindestsätze der HOAI zu erfolgen, ohne eine Anpassung durch den Gesetzgeber abzuwarten.

Anders als das OLG Hamm sieht sich das OLG Celle in Folge des europäischen Urteils auch nicht an einer richtlinienkonformen Auslegung der HOAI Vorschriften aufgrund eines entgegenstehenden Willens des Gesetzgebers gehindert. Aus den Gesetzesmaterialien zur Fassung der HOAI 2009 ergibt sich ausdrücklich der Wille des Gesetzgebers zu einer europarechtskonformen Gestaltung der HOAI. Eine Abweichung hiervon hat das OLG Celle im Rahmen der Aktualisierung der HOAI im Jahre 2013 nicht festgestellt. Auch das mit den Höchst- und Mindestsätzen verfolgte Ziel einer Qualitätssicherung von Planungsleistungen vermag nach Ansicht des OLG Celle einen entgegenstehenden Willen des Gesetzgebers nicht zu begründen, solange die Erbringung von Planungsleistungen selbst keinen Qualitätsstandards unterliegt.

Fazit:

Das Urteil des OLG Celle ist zu begrüßen. Es greift die wesentlichen Argumente des OLG Hamm auf und vermag diese im Lichte einer europarechtskonformen Argumentation zu entkräften. Es steht im Einklang mit dem Urteil des EuGH, das sowohl auf die unmittelbare Anwendbarkeit der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG als auch auf die Verfehlung des mit den HOAI-Sätzen verfolgten Ziels einer Qualitätssicherung der Planungsleistungen hinweist. Die zwingende Anwendung der HOAI-Sätze entbehrt unter Zugrundelegung der aktuellen Gesetzeslage somit erheblicher, sachlich gerechtfertigter Gründe, die festgestellte Beschränkung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit durch die verbindlichen HOAI-Sätze zu rechtfertigen. Die Entscheidung des OLG Celle wird von dem OLG Düsseldorf bekräftigt. Der dortige Senat stellt mit Urteil vom 17.09.2019 (23/U 155/18) klar, dass der verbindliche Preisrahmen der HOAI auch in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten nicht angewendete werden darf. Denn aus der Feststellung des EuGH folgt für den verurteilten Mitgliedsstaat, den Verstoß zu beenden. Diese Pflicht treffe sämtliche Stellen des verurteilten Staates, mithin auch die Gerichte.

Das OLG Celle hat vor dem Hintergrund der obergerichtlichen Uneinigkeit die Revision zugelassen. Es ist zu erwarten, dass der BGH im Falle einer Revision der überzeugenden Rechtsauffassung des OLG Celle folgen und entgegen der Rechtsprechung des OLG Hamm eine sofortige Berücksichtigung der Europarechtswidrigkeit feststellen wird.

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