News | Newsletter | Neues zum Baurecht 04/2024
Darf mein Nachbar bei der Planung meines Eigenheims mitbestimmen?
Im Rahmen genehmigter Bauvorhaben kommt dem Nachbarn grundsätzlich kein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Gestaltung eines Bauprojektes zu. Die Grenze ist dabei jedoch dort zu ziehen, wo sich das geplante Vorhaben nicht in die bestehende Bebauung einfügt und das Rücksichtnahmegebot tangiert wird. Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt hat dem Einfluss der Nachbarn in diesem Kontext dergestalt eine Grenze gesetzt, als das im unbeplanten Innenbereich das Gebot des Einfügens nach § 34 BauGB nicht die Wahl der mit den nachbarlichen Belangen verträglichsten Variante voraussetzt.
OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21.05.2024 - 2 M 34/24
Ein Bauherr hat innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils zwischen mehreren Varianten nicht die mit nachbarlichen Belangen verträglichste Variante zu wählen, wenn das Vorhaben, etwa hinsichtlich der Lage eines Baukörpers unterschiedlich ausgeführt werden kann. Bei der Ermittlung dessen, was dem Rücksichtnahmepflichtigen zuzumuten ist, ist aufgrund des Gebots der Rücksichtnahme in dem Tatbestandsmerkmal des Einfügens in § 34 Abs. 1 BauGB auch auf die maßgebende prägende Umgebungsbebauung abzustellen.
Der Fall
Das OVG Sachsen-Anhalt hatte sich auf Antrag von Nachbarn mit der Rechtmäßigkeit einer der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung zur Errichtung von drei Wohngebäuden auf einem bislang unbebauten 1.923 m² großen Grundstück zu befassen. Die Antragsteller waren der Auffassung, dass sich das gesamte Vorhaben aufgrund der Anzahl der Gebäude nicht gemäß § 34 Abs. 1 BauGB in die nähere Umgebung einfüge und dass eines der geplanten Häuser mittiger auf dem Grundstück hätte positioniert werden können. Insoweit sei die Beigeladene nach Auffassung der Antragsteller aufgrund des Rücksichtnahmegebots verpflichtet, die mit nachbarlichen Belangen verträglichste und aus ihrer Sicht günstigste Variante zu wählen.
Die Entscheidung
Das Oberverwaltungsgericht wies den Antrag ab und entschied, dass keine drittschützenden Normen beeinträchtigt sind. Es führte zunächst dazu aus, dass § 34 Abs. 1 BauGB nicht generell drittschützende Wirkung entfalte. Der Nachbarschutz richte sich vielmehr nach dem im Merkmal des Einfügens enthaltenen (eigentlich objektivrechtlichen) Gebot der Rücksichtnahme. Dieses habe nur dann nachbarschützenden Charakter, wenn in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Im unbeplanten Innenbereich gehe das Rücksichtnahmegebot dabei in dem Begriff des Einfügens im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB auf.
Im Rahmen, der hier im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung kam es für das Gericht entscheidend darauf an, ob von dem Bauvorhaben für den Nachbarn städtebaulich relevante unzumutbare Beeinträchtigungen ausgehen. Die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was in der konkreten Grundstückssituation beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, seien gegeneinander abzuwägen. Nach diesen Grundsätzen reiche ein fehlendes "Einfügen" im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB für die Bejahung eines nachbarrechtlichen Abwehranspruchs unter Berufung auf das Gebot der Rücksichtnahme nicht aus. Vielmehr müsse hinzukommen, dass die Veränderung der Grundstückssituation zu Verhältnissen führen würde, die dem Nachbarn billigerweise nicht mehr zumutbar wären.
Für eine solche unzumutbare Beeinträchtigung ließ das Gericht nicht allein die Anzahl der genehmigten Gebäude ausreichen und begründete seine Entscheidung damit, dass sich eine mögliche Unzumutbarkeit ausschließlich aus den in § 34 Abs. 1 BauGB benannten Merkmalen, also der Art der baulichen Nutzung, dem Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der zu überbauenden Grundstücksfläche ergeben kann. Die Anzahl der auf dem Baugrundstück geplanten Gebäude und die Wohndichte sind aber kein Element des Maßes der baulichen Nutzung und daher im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB nicht drittschützend.
Abschließend stellte das Oberverwaltungsgericht klar, dass zwischen mehreren Varianten der Positionierung des Vorhabens nicht die mit nachbarlichen Belangen verträglichste Variante zu wählen ist, wenn die Prüfung ergibt, dass die Belastungen an dem vom Bauherrn gewählten Standort für den Nachbarn zumutbar sind. In diesem Fall ist die bauliche Anlage auch dann hinzunehmen, wenn es aus Sicht des Nachbarn einen besser geeigneten Alternativstandort gegeben hätte.
Praxistipp
Die Zulässigkeit eines Vorhabens innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils wirft viele Detailfragen auf, die sich maßgeblich auf die Bauweise, die Gestaltung und die Größe des geplanten Vorhabens auswirken können. Die Nachbarn können nicht mitbestimmen, welche Ausführungsvariante seines Vorhabens der Bauherr wählt. Insoweit stärkt dieses Urteil die Rechte der Bauherren und stellt nochmal deutlich heraus, dass Nachbarn auch im Rahmen des § 34 Abs 1. BauGB auf die Verletzung drittschützender Vorschriften angewiesen sind.
Um kostenintensive Umplanungen und damit verbundene Verzögerungen während des laufenden Vorhabens zu verhindern, empfiehlt sich bereits in der Planungsphase rechtliche Unterstützung zu konsultieren, um einen reibungslosen Ablauf des Vorhabens zu ermöglichen und möglichen Einwänden von Nachbarn bereits frühzeitig begegnen zu können.
Autor
Niklas Koschwitz
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