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Entschädigung gemäß § 642 BGB: Produktionsmittel müssen nicht auf der Baustelle vorgehalten werden!

Gemäß § 642 BGB steht dem Auftragnehmer (AN) gegen den Auftraggeber (AG) eine angemessene Entschädigung zu, wenn bei dem Bauvorhaben eine Handlung des AG erforderlich ist, der AG seiner Mitwirkungspflicht nicht (ordnungsgemäß) nachkommt und sich dadurch die Bauausführung verzögert. Nach Ansicht des OLG Karlsruhe müssen Produktionsmittel (Personal, Gerät und Material) nicht nutzlos auf der Baustelle vorgehalten werden. Es sei ausreichend, wenn der AN die Produktionsmittel für das konkrete Bauvorhaben derart vorhält, dass sie dort jederzeit eingesetzt werden könn(t)en. 

OLG Karlsruhe, Urteil vom 27.08.2020 – 8 U 49/19 (nicht rechtskräftig)

Rechtliche Ausgangslage

Häufig entstehen bei Bauvorhaben Verzögerungen, weil der AN zwar leistungsbereit ist, die Leistungen aber aufgrund ausbleibender Mitwirkungshandlungen des AG nicht ausgeführt werden können (z.B. fehlende Vorunternehmerleistungen). Kommt der AG in Annahmeverzug und hält der AN für die Dauer des Verzugs Produktionsmittel vor, ohne diese (anderweitig) einsetzen zu können, steht dem AN gemäß § 642 BGB eine angemessene Entschädigung zu. Hierzu hat der BGH in den vergangenen Jahren zwei wegweisende Entscheidungen getroffen.

Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 26.10.2017 (VII ZR 16/17) entschieden, dass Mehrkosten wie gestiegene Lohn- und Materialkosten, die zwar aufgrund des Annahmeverzugs des AG, aber erst nach dessen Beendigung anfallen, nämlich bei Ausführung der verschobenen Werkleistung, von § 642 BGB nicht erfasst seien. Eine Entschädigung könne nur für den Zeitraum des Annahmeverzugs verlangt werden. In diesem Zusammenhang hat der BGH nochmals bestätigt, dass der AN eine Entschädigung für das erfolglose Vorhalten der Produktionsmittel verlangen kann. Des Weiteren hat der BGH darauf hingewiesen, dass bei der Bemessung der Entschädigung die Höhe der vereinbarten Vergütung zu berücksichtigen sei, die auch die in der Vergütung enthaltenen Anteile für Wagnis und Gewinn (WuG) und allgemeine Geschäftskosten (AGK) einschließen könne.

Gemäß § 642 Abs. 2 BGB bestimmt sich die Höhe der Entschädigung einerseits nach der Dauer des Annahmeverzugs und der Höhe der vereinbarten Vergütung (s.o.) und andererseits nach demjenigen, was der AN infolge des Verzugs an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwerben kann. Bislang war nicht abschließend geklärt, ob die Grundsätze zur Vergütung in Folge einer „freien“ Kündigung gemäß § 648 S. 2 BGB heranzuziehen sind. Kündigt der AG das Vertragsverhältnis gemäß § 648 BGB aus freien Stücken, ohne zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt zu sein (§ 648a BGB), hat der AN einen Anspruch auf volle Vergütung abzgl. ersparter Aufwendungen und anderweitigen Erwerbs. Dabei ist nicht jeder anderweitige Erwerb zu berücksichtigen, sondern nur der Erwerb, der durch einen echten Ersatz-/Füllauftrag generiert wird (vgl. May/Rosendahl, BauR 2020, 534, 536 m.w.N.).

Der BGH (Urt. v. 30.01.2020 - VII ZR 33/19) hat zuletzt klargestellt, dass diese Grundsätze auf § 642 Abs. 2 BGB nicht übertragbar seien. Es sei nur maßgeblich, ob während des Annahmeverzugs Produktionsmittel auf einer anderen Baustelle produktiv eingesetzt werden konnten. Es muss sich dabei nicht um einen Füll-/Ersatzauftrag handeln, der nur deshalb durchgeführt werden konnte, weil Produktionsmittel in Folge des Annahmeverzugs des AG frei wurden. Der AN sei diesbezüglich darlegungs- und beweisbelastet. Auf dieser Grundlage habe das Gericht eine Abwägungsentscheidung zu treffen, bei der ein Ermessensspielraum bestehe.

Das KG Berlin knüpft mit einer aktuellen Entscheidung vom 28.04.2020 (21 U 76/19) an diese Rechtsprechung des BGH an und ist der Ansicht, dass der AN nicht berechtigt sei, die stillstehenden Produktionsmittel unbegrenzt gegen eine angemessene Entschädigung auf der Baustelle vorzuhalten. Vielmehr sei der AN verpflichtet, eine wirtschaftliche Abwägung zu treffen, bei der die beiderseitigen Interessen – vor unnötigen Kosten geschützt zu werden – möglichst wirtschaftlich sinnvoll in Ausgleich zu bringen sind. Dabei sei der Aufwand des AN zu berücksichtigen, der entweder durch das unproduktive Belassen der Mittel auf der Baustelle oder durch den Abtransport und das erneute Anliefern nach Beendigung des Annahmeverzugs entsteht. Das unproduktive Belassen auf der Baustelle sei umso eher vertretbar, je aufwändiger das Verbringen und erneute Anliefern ist.

Der Sachverhalt

Der AN ist mit Parkettarbeiten beauftragt. Da der Estrich als bauherrenseitige Vorleistung nicht belegreif war, verzögerten sich die Arbeiten. Der AN behauptet, dass seine Produktionsmittel für die Dauer der Verzögerung nicht anderweitig eingesetzt werden konnten und verlangt dafür gemäß § 642 BGB eine Entschädigung. Der AG wendet u.a. ein, der AN habe auf der Baustelle keine Produktionsmittel vorgehalten. Die Klage des AN vor dem LG Mosbach war teilweise erfolgreich. Hiergegen wenden sich beide Parteien mit der Berufung.

Das Urteil

Das OLG Karlsruhe spricht dem AN eine Forderung i.H.v. EUR 42.588,28 zu und stützt sich dabei auf die aktuelle Entscheidung des BGH vom 30.01.2020 (VII ZR 33/19). Das OLG Karlsruhe führt zunächst aus, dass sich der AG in Annahmeverzug befunden habe. Sodann differenziert das OLG Karlsruhe danach, ob der AN seine Produktionsmittel während des Annahmeverzugs anderweitig produktiv einsetzen konnte. Im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH geht das OLG Karlsruhe davon aus, dass es sich dabei nicht um einen Füll-/Ersatzauftrag i.S.d. § 648 BGB handeln müsse. Bei den produktionslos vorgehaltenen Mitteln stellt das OLG Karlsruhe heraus, dass es für die Entschädigung gemäß § 642 BGB nicht erforderlich sei, dass diese auf der Baustelle vorgehalten werden. Entscheidend sei, ob die Produktionsmittel derart vorgehalten werden, dass sie für das konkrete Bauvorhaben jederzeit eingesetzt werden könn(t)en. In der Entscheidung heißt es dazu:

„Dass die Klägerin die Produktionsmittel nicht auf der Baustelle bereithielt, ist unerheblich. Ein produktionsloses Bereithalten von Produktionsmitteln erfordert nicht, dass die Produktionsmittel auf der Baustelle brachliegen. § 642 BGB gewährt dem Unternehmer eine angemessene Entschädigung dafür, dass er während des Annahmeverzugs des Bestellers infolge Unterlassens einer diesem obliegenden Mitwirkungshandlung Personal, Geräte und Kapital, also die Produktionsmittel zur Herstellung der Werkleistung, bereithält (BGH a.a.O. Rn. 42). Das setzt nach Sinn und Zweck des § 642 BGB voraus, dass der Unternehmer die Produktionsmittel für das konkrete Bauvorhaben des Bestellers so bereithält, dass sie dort jederzeit eingesetzt werden können, nicht aber, dass die Produktionsmittel während der Dauer des Annahmeverzugs auf die Baustelle verbracht und ausschließlich dort bereitgehalten werden. Abgesehen davon, dass die Bereithaltung von Produktionsmitteln auf der Baustelle in vielen Fällen mit unnötigem Aufwand verbunden und nicht praktikabel wäre, steht sie auch dem im Interesse des Bestellers liegenden Bemühen des Unternehmers entgegen, die unproduktiv bereitgehaltenen Produktionsmittel anderweitig produktiv einzusetzen, um die vom Besteller geschuldete Entschädigung möglichst gering zu halten.“

Fazit

Für den AN ist das Durchsetzen einer angemessenen Entschädigung gemäß § 642 BGB seit jeher mit erheblichen Hürden verbunden. Der AN muss darlegen und im Streitfall beweisen, welche Produktionsmittel er wegen des Annahmeverzugs des AG wie lange nutzlos hat vorhalten müssen und welche Anteile der vereinbarten Vergütung auf diese Vorhaltung entfallen. Diese Darlegung beinhaltet zugleich das Fehlen anderweitigen Erwerbs. Nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH kommt es jetzt nicht mehr darauf an, ob der (mögliche) anderweitige produktive Einsatz aus einem echten Füll- bzw. Ersatzauftrag stammt, der nur deshalb durchgeführt werden konnte, weil Produktionsmittel durch den Annahmeverzug des AG frei wurden. D.h., der AN müsste danach grundsätzlich jede sich bietende Möglichkeit eines anderweitigen Erwerbs ergreifen. Nach der Rechtsprechung des KG Berlin hat der AN dabei allerdings eine Abwägungsentscheidung zwischen den beiderseitigen Interessen zu treffen, bei der der Aufwand des AN zu berücksichtigen ist, der entweder durch das unproduktive Belassen der Mittel auf der Baustelle oder durch den Abtransport und das erneute Anliefern nach Beendigung des Annahmeverzugs entsteht. Diese Abwägungsentscheidung führt für den AN unter Umständen zu einem Dilemma. Denn die Abwägung dürfte in der Praxis regelmäßig mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein, weil oftmals nicht hinreichend absehbar ist, wie lange der Annahmeverzug anhalten wird. Bindet der AN die Produktionsmittel bei einem anderen Auftrag, stehen ihm diese ggf. nach Wegfall des Verzugs nicht mehr für die Erfüllung des verzögerten Bauvorhabens zur Verfügung. Für den Fall, dass kein produktiver Ersatz möglich bzw. für den AN nicht vertretbar/zumutbar ist, ist es nach der Rechtsprechung des OLG Karlsruhe unerheblich, wie die Produktionsmittel eingesetzt werden; insbesondere müssen Produktionsmittel nicht zwangsläufig auf der Baustelle vorgehalten werden. Für den AN bedeutet dies, dass er nach wie vor möglichst detailliert dokumentieren muss, warum und in welcher Weise seine Produktionsmittel während des Annahmeverzugs (nicht) eingesetzt werden können. Des Weiteren ist der AN gut beraten, seine Abwägungsentscheidungen möglichst präzise zu begründen und zu dokumentieren.

 

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