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OLG Hamm, Urteil vom 23.07.2019 - 21 U 24/18

Kaum war das Plädoyer des Bundesanwalts veröffentlicht, überschlugen sich in der Presse Meldungen, wie „Die HOAI ist tot! Lang lebe die HOAI!“ oder „Mindest- und Höchstsätze der HOAI verletzen EU-Recht“. Ein Werkstatt-Beitrag auf ibr-online titelte zur einer Entscheidung des LG Dresden: „Stellt der EuGH die Unionsrechtswidrigkeit der HOAI-Mindestsatzregelungen fest, ist eine Honorarklage eines Architekten ohne Weiteres abzuweisen, soweit statt des vereinbarten Honorars das höhere Mindestsatzhonorar verlangt wird“. Dabei hatte u. a. das OLG Naumburg bereits zuvor schulmäßig herausgearbeitet, dass sich ein Urteil des EuGH im Vertragsverletzungsverfahren „nur“ an den nationalen Gesetzgeber richtet und daher keine Auswirkung auf bestehende Verträge hat (vgl. OLG Naumburg, Urt. v. 13.04.2017 -1 U 48/11). Dem Urteil hatte sich mit denselben Erwägungen dann auch das Kammergericht, das LG Stuttgart und das Landesberufsgericht für Architekten, Architektinnen, Stadtplaner und Stadtplanerinnen angeschlossen (KG, Urt. v. 01.12.2017 - 21 U 19/12; LG Stuttgart, Beschl. v. 16.11.2018 - 28 O 375/17; Landesberufsgericht für Architekten, Architektinnen, Stadtplaner und Stadtplanerinnen, Beschl. v. 01.08.2018 – 6s E 46/18). Das OLG Hamm hat jetzt ebenso prägnant, wie dogmatisch richtig, entschieden:

„Die maßgeblichen Bestimmungen der HOAI, auch zum Mindestpreischarakter, sind [...] anwendbar. Daran ändert die Entscheidung des EuGH im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland, wonach diese durch Aufrechterhaltung der Bestimmungen zum zwingenden Preisrecht in der HOAI gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123 verstoßen habe (EuGH, IBR 2019, 436), nichts. Das Urteil des EuGH im Vertragsverletzungsverfahren bindet nämlich nur den Mitgliedstaat, der nach eigenem Ermessen die geeigneten Maßnahmen ergreifen muss, um den europarechtswidrigen Zustand zu beseitigen. Für den einzelnen Unionsbürger geht von dem Urteil keine Rechtswirkung aus. Die Feststellung der Europarechtswidrigkeit der Mindestsätze der HOAI im Vertragsverletzungsverfahren ändert nichts daran, dass zum Zeitpunkt des Verstoßes die HOAI zu beachten war, denn es gibt insofern keine Rückwirkung.“

Die Entscheidung des OLG Hamm liegt nicht nur auf einer Linie mit der Rechtsprechung des OLG Naumburg, des Kammergericht, LG Stuttgart und des Landesberufsgerichts für Architekten, Architektinnen, Stadtplaner und Stadtplanerinnen, sondern auch mit der Rechtsprechung des EuGH. Der hat ausdrücklich entschieden, dass eine Richtlinie nicht in einem Rechtsstreit zwischen zwei Unionsbürgern angeführt werden kann, um die Anwendung der Regelung eines Mitgliedstaats auszuschließen, die gegen die Richtlinie verstößt (EuGH, Urt. v. 07.08.2018 - C-122/17; m. w. Nachw.), wobei auch ein öffentlicher Auftraggeber in diesem Sinne als Unionsbürger gilt, wenn er privatrechtliche (Architekten)Verträge schließt. Das Nationale Gericht hat die Anwendung einer nationalen Vorschrift, die gegen Unionsrecht verstößt, nämlich allenfalls dann zu unterlassen, wenn der Verstoß gegenüber einem Mitgliedstaat oder seinen Verwaltungsträgern geltend gemacht wird, der auch als solcher handelt, d. h in einem Über-/Unterordnungsverhältnis (EuGH, Urt. v. 07.08.2018 - C-122/17; m. w. Nachw.). In der Entscheidung des EuGH vom 07.08.2018 heißt es dazu wörtlich:

„Der Gerichtshof hat [...] in ständiger Rechtsprechung auch entschieden, dass eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen kann, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist (vgl. u. a. Urteile vom 26. Februar 1986, Marshall, 152/84, EU:C:1986:84, Rn. 48, vom 14. Juli 1994, Faccini Dori, C91/92, EU:C:1994:292, Rn. 20, und vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer u. a., C397/01 bis C403/01, EU:C:2004:584, Rn. 108). Würde die Möglichkeit, sich auf eine Bestimmung einer nicht oder unrichtig umgesetzten Richtlinie zu berufen, auf den Bereich der Beziehungen zwischen Privaten ausgedehnt, liefe das nämlich darauf hinaus, der Europäischen Union die Befugnis zuzuerkennen, mit unmittelbarer Wirkung zu Lasten der Einzelnen Verpflichtungen anzuordnen, obwohl sie dies nur dort darf, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juli 1994, Faccini Dori, C91/92, EU:C:1994:292, Rn. 24).

So kann selbst eine klare, genaue und unbedingte Bestimmung einer Richtlinie, mit der dem Einzelnen Rechte gewährt oder Verpflichtungen auferlegt werden sollen, als solche im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Private gegenüberstehen, keine Anwendung finden (Urteile vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer u. a., C397/01 bis C403/01, EU:C:2004:584, Rn. 109, vom 24. Januar 2012, Dominguez, C282/10, EU:C:2012:33, Rn. 42, und vom 15. Januar 2014, Association de médiation sociale, C176/12, EU:C:2014:2, Rn. 36).

Der Gerichtshof hat ausdrücklich entschieden, dass eine Richtlinie nicht in einem Rechtsstreit zwischen Privaten angeführt werden kann, um die Anwendung der Regelung eines Mitgliedstaats, die gegen die Richtlinie verstößt, auszuschließen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2014, OSA, C351/12, EU:C:2014:110, Rn. 48).

Das nationale Gericht hat nämlich die Anwendung der nationalen Vorschrift, die gegen eine Richtlinie verstößt, nur auszuschließen, wenn sie gegenüber einem Mitgliedstaat, seinen Verwaltungsträgern einschließlich dezentralisierter Behörden oder Einrichtungen und Stellen geltend gemacht wird, die dem Staat oder dessen Aufsicht unterstehen oder die von einem Mitgliedstaat mit der Erfüllung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe betraut wurden und hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet sind, die über die für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften hinausgehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. Januar 2012, Dominguez, C282/10, EU:C:2012:33, Rn. 40 und 41, vom 25. Juni 2015, Indėlių ir investicijų draudimas und Nemaniūnas, C671/13, EU:C:2015:418, Rn. 59 und 60, und vom 10. Oktober 2017, Farrell, C413/15, EU:C:2017:745, Rn. 32 bis 42).“

Letzteres kommt bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten in Betracht, nicht aber bei zivilrechtlichen Streitigkeiten um Architektenhonorar. Da das OLG Celle die Rechtslage anders beurteilt, musste das OLG Hamm die Revision zum BGH zulassen. Dieser wird also jetzt abschließend entscheiden, wie es um das Mindestsatzhonorar des Architekten steht.

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