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Der Sachverständige muss im Berufungsverfahren erneut angehört werden wenn das Berufungsgericht dessen Gutachten anders als die Vorinstanz würdigen will

BGH, Beschluss vom 18.07.2018 - VII ZR 30/16

Im Zuge eines Sanierungs- und Umbauvorhabens wurde ein Architekt (B1) mit der Erbringung von Planungsleistungen der Leistungsphasen 1-7 HOAI beauftragt. Ein Statiker (B2) erhielt den Auftrag, für das Bauvorhaben verschiedene statischer Berechnungen durchzuführen. Gegenstand des Bauvorhabens war die Sanierung eines historischen Gebäudes und der Einbau von zwei Garagenräumen in das Kellergeschoss des Hinterhauses dieses Gebäudes. Dazu musste die Kelleraußenwand durchbrochen werden. Die Bauarbeiten wurden von einem Bauunternehmen (S-AG) ausgeführt, das sich wiederum zahlreicher Nachunternehmer bediente.

Für den Einbau der Garagenräume durchstieß eine Nachunternehmerin der S-AG die Kelleraußenwand mit sechs Kernbohrungen. Die Bohrlöcher wurden mit einem Durchmesser von etwa 45 cm in einem Abstand von je einem Meter in einer waagerechten Reihe ausgeführt. Erst mehrere Tage nach Herstellung der Bohrlöcher schob die S-AG jeweils einen Doppel-T-Träger durch die Bohrlöcher und legte diese auf Baustützen auf. Der Errichtung dieses Baubehelfs lagen keine planerischen Vorgaben der B1 zugrunde. Die B2 hatte auf Bitten des Bauleiters der S-AG berechnet, welche Tragkraft die Doppel-T-Träger haben müssten, um das Gewicht der Gebäudeaußenwand zu tragen. Kurz nach der Einführung der Doppel-T-Träger stürzte die Außenwand des Seitenhauses einschließlich der Geschossdecken und des Dachstuhls ein.

Der Bauherr nahm daraufhin B1 und B2 auf Schadensersatz i. H. v. EUR 301.284,36 in Anspruch. Die S-AG trat dem Rechtstreit als Streithelferin bei. Das erstinstanzliche Gericht verurteilte B1 zu einer Zahlung von 197.603,07 € nebst Zinsen sowie B1 und B2 als Gesamtschuldner zur Zahlung weiterer EUR 98.801,53 nebst Zinsen. Das erstinstanzliche Gericht hatte nach Anhörung des Sachverständigen eine Pflichtverletzung des B2 darin gesehen, dass dieser nicht auf die mangelnde Eignung des zur Anwendung kommenden Baubehelfs (auf Baustützen abgelegte Doppel-T-Träger) hingewiesen hatte.

Das Berufungsgericht wies auf Berufung von B1 und B2 die Klage unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung ab. Es stützte sich dabei – ebenso wie die Eingangsinstanz – auf das erstinstanzlich eingeholte Sachverständigengutachten. Nach Auffassung des Berufungsgerichts folgte aus dem Sachverständigengutachten, dass der Gebäudeeinsturz allein durch ein von der Nachunternehmerin angewendetes ungeeignetes Bohrverfahren verursacht worden war. Auf die Nichteignung der nachfolgend zur Anwendung gekommenen Abstützung mittels Doppel-T-Träger kam es nach dieser Interpretation des Sachverständigengutachtens nicht mehr an. Das Berufungsgericht nahm diese Neubewertung des erstinstanzlich erstellten Gutachtens vor, ohne den Gutachter erneut anzuhören.

Der BGH entschied auf die Nichtzulassungsbeschwerde des klagenden Bauherren, dass ein Berufungsgericht – will es die Ausführungen eines Sachverständigen anders würdigen als die Vorinstanz – den bereits erstinstanzlich angehörten Sachverständigen erneut befragen muss. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Gericht keine Umstände darlegt, warum es ausnahmsweise bereits aufgrund des Akteninhalts zu einem anderen Ergebnis als das erstinstanzliche Gericht kommen durfte.

Fazit

Ein Berufungsgericht, das ein erstinstanzlich erstelltes Sachverständigengutachten anders werten will als die Eingangsinstanz, muss den Sachverständigen in der Regel erneut befragen. Andernfalls ist das Recht des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.
Die Entscheidung dürfte auch auf den Zeugenbeweis und gemäß § 451 ZPO zudem auf die Parteivernehmung anwendbar sein; Will ein Berufungsgericht die protokollierte Aussage eines Zeugen oder einer Partei anders würdigen als die Vorinstanz, so hat es regelmäßig den erstinstanzlich vernommenen Zeugen bzw. die erstinstanzlich vernommene Partei erneut zu vernehmen (§ 398 Abs. 1 ZPO ggf. i.V.m § 451 ZPO).

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