News | Newsletter | Neues zum Baurecht 03/2016
Insolvenz des Auftragnehmers: Kündigung und Schadensersatz möglich!
Die in einen Bauvertrag einbezogenen Regelungen des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) sind weder gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen §§ 103, 119 InsO noch gemäß § 307 Abs. 1 und 2 BGB wegen unangemessener Benachteiligung des Auftragnehmers unwirksam.
BGH, Urteil vom 07.04.2016 – VII ZR 56/15
Während der Durchführung eines VOB/B-Bauvertrages beantragt der AN die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen. Der AG kündigt darauf hin den Bauvertrag noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B und nimmt später den Bürgen einer Vertragserfüllungsbürgschaft auf Erstattung der kündigungsbedingten Fertigstellungsmehrkosten nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B in Anspruch. Das Berufungsgericht wies die Klage ab, weil die Regelungen des § 8 Abs. 2 VOB/B wegen Verstoß gegen §§ 103, 119 InsO unwirksam seien und es daher an einer durch die Bürgschaft gesicherten Hauptforderung fehle. Zur Begründung bezog sich das Berufungsgericht auf eine Entscheidung des BGH zur Unwirksamkeit von Lösungsklauseln, die bei einem Vertrag über die fortlaufende Lieferung von Waren/Energie an den Insolvenzantrag oder die Insolvenzeröffnung anknüpfen (BGH, Urt. v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11). Ebenso wie dort, werde das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO auch durch § 8 Abs. 2 VOB/B im Voraus unwirksam ausgeschlossen. Hiergegen wendet sich der AG mit der Revision.
Und bekommt Recht! Jedenfalls bei einem Eigenantrag des AN und einer Kündigung des AG vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens hält der BGH das Kündigungsrecht nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B (2009) ebenso wie den hieraus nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B (2009) folgenden Schadensersatzanspruchs des AG für wirksam. Es liege weder ein Verstoß gegen die insolvenzrechtlichen Bestimmungen der §§ 103, 119 InsO noch gegen die AGB-rechtliche Vorschrift des § 307 BGB vor. Entscheidend sei, dass der AG einen Bauvertrag nach § 649 BGB jederzeit kündigen könne, sodass sich § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B im Ergebnis lediglich als „Sonderkündigungsrecht aus wichtigem Grund“ darstelle. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung wägt der BGH sodann das vorrangige Ziel der Insolvenzordnung an einer gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger gegen die typischen Interessen eines Bauherrn ab und kommt zu dem Ergebnis, dass letztere überwiegen. Sodann vergleicht der BGH den aus der Kündigung folgenden Schadensersatzanspruch gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B mit dem Schadensersatzanspruch wegen einer Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten gemäß §§ 280 Abs. 1 und 3, 282 BGB. Mit seinem Eigenantrag verletze der AN die ihm aus dem Bauvertrag obliegenden Nebenpflichten zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des AG, sodass sich § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B lediglich als Sonderfall gesetzlich ohnehin bestehender Schadensersatzansprüche darstelle.
Fazit
Der Streit um die Wirksamkeit von § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VOB/B ist (vorläufig) beendet. Jedenfalls bei einem Eigenantrag des AN kann der AG den Bauvertrag vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens kündigen und anschließend Schadensersatz verlangen. Eine freie Kündigung bleibt dem AG ebenso erspart wie der Umweg über § 8 Abs. 3 i.V.m. § 5 Abs. 4 VOB/B. Gute Gründe sprechen allerdings dagegen, die Entscheidung auch auf eine Kündigung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu übertragen.
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