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Der Prüfstatiker handelt nicht (immer) hoheitlich, sondern unter Berücksichtigung des jeweiligen Landesrechts ggf. privatrechtlich

BGH, Urt. v. 31.03.2016 - III ZR 70/15

Der BGH hatte sich im Rahmen dieser Entscheidung mit der Frage zu beschäftigen, ob ein Prüfstatiker wegen Schlechterfüllung nach Amtshaftungsgrundsätzen oder nach Werkvertragsrecht haftet. Der BGH hält unter Berücksichtigung seiner bisherigen Rechtsprechung sowie des im konkreten Fall geltenden Landesrechts das Werkvertragsrecht für anwendbar. Unabhängig von der Wahl der richtigen Anspruchsgrundlage gegenüber dem seine Vertragspflichten verletzenden Prüfstatiker sind die Auswirkungen dieser Rechtsprechung auf das in der Baupraxis häufig angenommene und auch in der Rechtsliteratur durchaus anerkannte Recht des Prüfstatikers, geänderte Leistungen mit der Vergütungsfolge des § 2 Abs. 5 VOB/B anzuordnen, von besonderer Bedeutung.

Dem Bauherrn wurde für den Bau eines Einfamilienhauses auf einem Hanggrundstück eine Genehmigung mit der Auflage erteilt, vor Baubeginn die in statisch-konstruktiver Hinsicht erforderlichen bautechnischen Nachweise bei der Bauaufsichtsbehörde vorzulegen. Der Bauherr beauftragte den beklagten Prüfstatiker mit der Prüfung der bautechnischen Nachweise. Der Prüfstatiker erstellte einen positiv bescheidenden Prüfbericht. Später kam es infolge des vom Hang ausgehenden Erddrucks zu Schäden am Gebäude. Der Bauherr verlangt vom Prüfstatiker Schadensersatz. Der Prüfstatiker wendet ein, er habe in Ausübung eines öffentlichen Amtes gehandelt und sei allein zum Schutz der Allgemeinheit, nicht aber der Belange des Bauherrn tätig geworden.

Das sieht der BGH anders. Der Prüfstatiker sei bei der Erfüllung des Auftrages, die Standsicherheit zu prüfen, nicht in Ausübung eines öffentlichen Amtes, sondern privatrechtlich tätig geworden, weshalb er vom Bauherrn richtigerweise nach Werkvertragsrecht auf Schadensersatz in Anspruch genommen worden sei. Prüfstatiker und andere Sachverständige würden nur dann in Ausübung eines öffentlichen Amtes tätig, wenn ihre Arbeit mit der Verwaltungstätigkeit einer Behörde auf das engste zusammenhinge und ihre Prüfung geradezu einen Bestandteil der von der Behörde ausgeübten hoheitlichen Tätigkeit bilde. Daran fehle es vorliegend. Das in Hessen geltende Landesrecht – konkret § 59 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 der Hessischen Bauordnung (HBO) 2002 – habe bewusst die baurechtliche und bautechnische Prüfung entkoppelt und die entsprechenden statischen Prüfungs- und Überwachungsaufgaben auf den Bauherren bzw. die von ihm einzuschaltenden Prüfingenieure übertragen. Der privatrechtliche Prüfauftrag verpflichte den Prüfstatiker gegenüber dem Bauherrn, etwaige statische Mängel zu erkennen, eine statisch fehlerhafte Bauausführung zu verhindern und den Eintritt von Schäden aufgrund einer mangelhaften Statik abzuwenden.

Fazit

Hervorzuheben ist zunächst, dass die Landesbauordnungen nicht einheitlich regeln, wer den Prüfstatiker mit der Überprüfung des Standsicherheitsnachweises zu beauftragen hat. Ausschlaggebend für die privatrechtliche Haftung des Prüfingenieurs war hier, dass die HBO 2002 vorsieht, dass es allein Sache des Bauherrn ist, sachkundige Personen zu beauftragen, durch welche die Einhaltung der die technische Sicherheit betreffenden bauordnungsrechtlichen Vorgaben gewährleistet wird. Eine hoheitliche bautechnische Überprüfung findet nicht (mehr) statt.

In Bundesländern, in welchen eine der Hessischen Bauordnung 2002 vergleichbare Regelung fehlt, hätte der Einwand des Prüfingenieurs, nicht auf privatrechtlicher Grundlage in Anspruch genommen werden zu können, möglicherweise durchgegriffen (vgl. insoweit BGH, Urt. v. 27.05.1963 - III ZR 48/62, BGHZ 39, 358 [360 ff.]).

Hiervon unabhängig stellt sich die Frage, ob die Entscheidung des BGH Auswirkungen auf die verbreitete Annahme hat, Auflagen bzw. Anordnungen des Prüfstatikers, die zu Leistungsänderungen führen, könnten im Sinne „anderer Anordnungen“ gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B Mehrvergütungspflichten des Auftraggebers gegenüber dem Werkunternehmer auslösen.

Klarzustellen ist, dass der Prüfstatiker grundsätzlich nicht über eine Vollmacht des Auftraggebers verfügt, die ihn berechtigen würde, mehrvergütungspflichtige Leistungen mit Wirkung für und gegen den Auftraggeber anzuordnen. Das Anordnungsrecht des Prüfstatikers wird vielmehr aus seinem hoheitlichen Tätigkeitwerden abgeleitet. Eine solche hoheitliche Tätigkeit des Prüfstatikers kann nach der hier besprochenen Entscheidung des BGH jedoch zumindest dann nicht mehr angenommen werden, wenn nach Landesrecht vormals hoheitliche Aufgaben dauerhaft auf den Bauherrn übertragen worden sind, der Prüfstatiker also nicht mehr hoheitlich, sondern privatrechtlich tätig wird.

Ist der Auftragnehmer also der Ansicht, dass Vorgaben/Anordnungen des Prüfstatikers zu einer Änderung der von ihm geschuldeten Leistung führen, hat er sich – vorsorglich und damit unabhängig von der landesrechtlichen Ausgestaltung – der ordnungsgemäßen Bevollmächtigung des Prüfstatikers durch den Auftraggeber zu versichern oder alternativ den Auftraggeber zu einer entsprechenden Anordnung anzuhalten. Anderenfalls droht der Auftragnehmer mit seinem Mehrvergütungsanspruch auszufallen. Ein Rückgriff auf die Grundsätze der Geschäftsführung ohne Auftrag wird nur dann möglich sein, wenn die auf Anordnung des Prüfstatikers erbrachten Leistungen aus technischer Sicht erforderlich waren.

Die Annahme, der Werkunternehmer könne einen Mehrvergütungsanspruch auch auf eine Anordnung des Prüfstatikers stützen, erfährt insoweit eine nicht unerhebliche Einschränkung.

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