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41 Jahre Reiterfahrung – überwiegende Sachkunde des Gerichts für den Bau von Reitplätzen?

OLG Celle, Urt. v. 06.03.2024, 14 U 81/23

Der Auftragnehmer hat dasjenige Werk zu errichten, das er dem Auftraggeber versprochen hat. Hierbei schuldet er regelmäßig aufgrund konkludenter Vereinbarung eine den anerkannten Regeln der Technik entsprechende Leistung. Aber wer kann die Mangelfreiheit eines Reitplatzes besser beurteilen, der gerichtliche Sachverständige oder eine Richterin mit 41 Jahren Reiterfahrung?

Sachverhalt

Die Beklagte beauftragte den Kläger mit der Errichtung eines Bewegungsplatzes für Islandpferde in ihrem Vorgarten. Der Kläger richtete den 280 bis 300 m² großen Platz für die Beklagte her. Ein auf dem Platz befindlicher Gullydeckel wurde dabei unstreitig nicht abgesenkt.

Bereits kurz nach der Übergabe des Platzes beanstandete die Beklagte dessen Zustand und verweigerte Zahlungen an den Kläger. Daraufhin machte dieser seinen Werklohnanspruch klageweise geltend. Er habe die Leistung mangelfrei erbracht. Die Absenkung des Gullideckels sei nicht von seinem vertraglichen Leistungsumfang erfasst gewesen, entsprechende Leistungspositionen fänden sich nicht im zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag.

Die Beklagte stellte sich dem entgegen: Der Auftragsgegenstand des Klägers sei die Erstellung eines Reitplatzes gewesen, der speziell auf die Bedürfnisse von Islandpferden angepasst werden sollte. Diesen Vorgaben entspreche der Platz jedoch nicht. Insbesondere lägen folgende Mängel vor: Zunächst ergäben sich aus dem unzureichend mit Sand bedeckten Gullydeckel Gefahren für Pferd und Reiter bei Benutzung des Reitplatzes. Aufgrund der Tritttiefe des verwendeten Sandes seien sodann Seitengänge nicht möglich, außerdem komme es zu Verschiebungen beim Abfußen. Der Reitsand sei insofern nicht ausreichend trittfest. Die Beklagte habe das Reiten auf dem neu erstellten Platz daher umgehend nach den ersten Reitversuchen einstellen müssen. Im Ergebnis sei der Platz nicht nutzbar, weil er nicht trittsicher sei und eine zu hohe Eindringungstiefe aufweise.

Ausweislich des Tatbestands erhob das erstinstanzlich befasste LG Hannover Beweis durch Inaugenscheinnahme, Bereiten des Platzes und Einholung eines Sachverständigengutachtens.

In seinem Urteil vom 05.05.2023 gab das LG Hannover der Klage überwiegend statt. Vertragsgegenstand sei nicht ein speziell auf Islandpferde abgestimmter Reitplatz gewesen, sondern lediglich ein Platz, welcher der Bewegung von Pferden und der Arbeit mit Kindern und Pferden dienen sollte. Dies ergebe sich aus den Angaben des Sachverständigen, nach denen der vom Kläger zu erstellende Platz bereits seiner geringen Größe wegen für die Bedürfnisse von Islandpferden zu klein bemessen gewesen sei. Insofern sei lediglich ein „durchschnittlicher“ Platz zu errichten gewesen.

Einen solchen Platz habe der Kläger mangelfrei hergestellt: Eine Absenkung des Gullydeckels sei vom Kläger nicht geschuldet worden. Da sie nicht Bestandteil seines Angebotes gewesen sei, könne sie nicht Vertragsbestandteil geworden sein. Der vom Kläger verwendete Sand sei sodann einwandfrei. Zwar hätten die vom Sachverständigen durchgeführten Laboruntersuchungen ergeben, dass die Trittfestigkeit des verwendeten Sandes nicht ordnungsgemäß sei; jedoch hielt die Kammer den vom Kläger erstellten Reitplatz aus eigener (überwiegender) Sachkunde für mangelfrei: Die beauftragte Richterin verfüge über 41 Jahre Reiterfahrung und über verschiedene Prüfungen und Abzeichen. Sie reite seit 2014 in akademischer Reit-weise nach Bent Branderup und besitze fünf Pferde, davon zwei in akademischer Reitweise ausgebildet, die teilweise die Schulen über der Erde beherrschten. Der von ihr durchgeführte Reitversuch habe ergeben, dass eine ausreichende Trittfestigkeit vorliege. Selbst das klassisch-englisch ausgebildete Kleine Deutsche Sportpferd habe die von der beauftragten Richterin durchgeführten Seitengänge und Wendungen ohne Weiteres in allen Gangarten auf dem Platz durchführen können.

Die Beklagte legte gegen die Entscheidung des LG Hannover Berufung beim OLG Celle ein.

Entscheidung des OLG Celle

Mit Erfolg! In dem vom Kläger hergestellten und übergebenen Reitplatz liege aufgrund von dessen Mangelhaftigkeit bereits kein abnahmereifes Werk vor, insofern bestehe kein fälliger Werklohnanspruch.

Der vom Kläger erstellte Reitplatz habe nämlich nicht der vereinbarten Beschaffenheit entsprochen. Im Hinblick auf den Leistungssoll stellt das OLG unabhängig von der Frage, ob ein Reitplatz speziell für Islandpferde erstellt werden sollte, auf die Geltung der anerkannten Regeln der Technik ab. Der Kläger habe einen diesen Regeln entsprechenden Reitplatz gleichsam als „Mindeststandard“ geschuldet. Der werkvertragliche Unternehmer sichere üblicherweise stillschweigend bei Vertrags-schluss einen solchen Standard zu; nichts anderes gelte für den zu entscheidenden Fall: Abweichende Vereinbarungen habe der Kläger nicht vorgetragen.

Die anerkannten Regeln der Technik seien hier jedoch nicht eingehalten worden:

Zunächst habe der Kläger die Gefahrenquelle „Gullydeckel“ nicht durch Absenkung entfernt, obwohl dies nach Maßgabe der anerkannten Regeln der Technik notwendig gewesen wäre. Dies habe der Kläger somit geschuldet, obwohl die Absenkung weder innerhalb des klägerischen Angebots noch in der Auftragsbestätigung der Beklagten explizit gefordert worden war.  Ein Unternehmer schulde nicht nur die Umsetzung einer möglicherweise fehlerhaften Leistungsbeschreibung, sondern einen funktionalen Bauerfolg. Widersprächen die „geschriebenen“ Vertragsbestandteile den anerkannten Regeln der Technik, so sei der Unternehmer dennoch verpflichtet, ein mangelfreies Werk zu erstellen. Hierzu gehörten nämlich ausweislich § 633 Abs. 2 S. 1 BGB alle Eigenschaften des Werkes, die nach der Vereinbarung der Parteien den vertraglich geschuldeten Erfolg herbeiführen sollten, insbe-sondere auch die – konkludent als geschuldet vereinbarten – anerkannten Regeln der Technik.

Sodann weise der vom Kläger verwendete Sand nicht die ausdrücklich geschuldete Qualität eines „Reitsandes“ auf. Die Anforderungen an die Trittfestigkeit und Trittsicherheit seien ausweislich des in erster Instanz vorgelegten Sachverständigengutachtens nicht erreicht worden. Dessen Ausführungen hielt das Gericht für überzeugender als die aus 41 Jahren Reiterfahrung herrührende eigene (vermeintlich überwiegende) Sachkunde des LG Hannover: Das Gericht habe seine Sachkunde für die Beurteilung der Trittfestigkeit des Sandes „anders als möglicherweise für das Reiten von Pferden“ in keiner Weise dargelegt. Soweit ein Richter – wie hier – von den Ergebnissen eines Sachverständigengutachtens abweichen wolle, müsse er dies begründen. Die Begründung müsse erkennen lassen, dass die abweichende Beurteilung nicht durch einen Mangel von Sachkunde beeinflusst sei. Dies wiederum hätte erfordert, dass die entscheidenden Richter die Sachkunde für die Errichtung von Reitplätzen weiter dargelegt hätten. Dies sei jedoch nicht erfolgt – das Gericht habe gerade im Gegenteil lediglich Erfahrung im Reiten plausibel dargelegt, jedoch nicht Erfahrung mit dem Bau von hierzu genutzten Plätzen.

Fazit

Die Entscheidung illustriert zunächst in schöner Deutlichkeit, wie die anerkannten Regeln der Technik den werkvertraglichen Mängelbegriff des § 633 Abs. 2 BGB ausfüllen. Diese gelten nämlich nach der Rechtsprechung des BGH (Siehe etwa BGH, Urt. v. 28.10.1999, VII ZR 115/97; BGH, Urt. v. 07. 03. 2013, VII ZR 134/12) immer dann als konkludent vereinbarte Beschaffenheit des vom Auftragnehmer herzustellen-den Werkerfolges, wenn die Parteien nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart haben . Dies gilt für BGB-Bauverträge ebenso wie für Vertragsverhältnisse, in denen die Geltung der VOB/B vereinbart wurde (BGH, Urt. v. 14.11.2017, VII ZR 65/14).

Die anerkannten Regeln der Technik sind dabei abzugrenzen vom Stand der Technik. Wird dieser (ausdrücklich) als Leistungsziel vereinbart, wird der geschuldete Maßstab an die Front der technischen Entwicklung verlagert und insofern – unter Verzicht auf das Merkmal der allgemeinen Anerkennung – eine im Vergleich zu den „anerkannten Regeln der Technik“ gesteigerte Dynamik vermittelt. Der „Stand der Technik“ steht auf einer höheren Qualitätsstufe – insbesondere hinsichtlich der Berücksichtigung technischer Neuerungen (Seibel/Koos – Seibel/Koos, Selbstständiges Beweisverfahren im privaten Baurecht, 2. Aufl. 2024, § 487 ZPO Rn. 39).

Die hier kommentierte Entscheidung wirft sodann ein Schlaglicht auf den Stellenwert gerichtlicher Gutachten: Auch diese unterliegen der freien richterlichen Beweiswürdigung. Insofern hat sich der Tatrichter sorgfältig und kritisch mit den Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen auseinanderzusetzen . Es ist ihm sodann durchaus möglich, vom Ergebnis eines solchen Gutachtens abzuweichen. Das OLG Celle beruft sich dabei korrekt die nach ständiger Rechtsprechung (siehe etwa BGH, Beschl. v. 31.08.2023, I ZR 11/23) bestehenden Voraussetzungen für eine solche Abweichung.

Auch insofern erweist sich die Entscheidung des OLG Celle als völlig zutreffend: Das in erster Instanz zur Entscheidung berufene Gericht berichtet zwar lang und breit von den außerordentlichen Reitkenntnissen der von ihm mit der Besichtigung des streitgegenständlichen Reitplatzes beauftragten Richterin. Es verliert jedoch keine Silbe dazu, warum es eine überwiegende Sachkunde in Bezug auf den Bau solcher Reitplätze haben sollte. Insofern luden die Ausführungen des Gerichts geradezu dazu ein, das Urteil in zweiter Instanz anzugreifen.

Autor

Tobias Köhler

Tobias Köhler

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