News | Newsletter | Neues zum Baurecht 02/2024
Kein Leistungsverweigerungsrecht nach zurückgewiesener Bedenkenanzeige
BGH, Urteil vom 01.02.2024 - VII ZR 171/22
Mit Urteil vom 01.02.2024 (Az.: VII ZR 171/22) bestätigt der BGH das Urteil des OLG Frankfurt a. M. vom 05.08.2022 (Az.: 21 U 84/21) zu den Voraussetzungen der gesetzlichen Risikovermeidung im Rahmen des Werkvertrags: Werden Bedenken des Auftragnehmers vom Auftraggeber zurückgewiesen, steht dem Auftragnehmer kein Leistungsverweigerungsrecht zu. Er hat die Arbeiten auszuführen, wird aber insoweit von seiner Haftung befreit. Verweigert er allerdings die Leistungsausführung, berechtigt dies den Auftraggeber zur Kündigung.
Sachverhalt
Die Klägerin hat den Beklagten beauftragt, für verschiedene Bereiche eines Kongresscenters diverse Bodenbelagsarbeiten auszuführen. Der Einheitspreisvertrag wurde unter Einbeziehung der VOB/B geschlossen.
Streitig geblieben ist, ob die Parteien wirksam einen Terminplan vereinbart haben. Jedenfalls aber hat der Beklagte zugesagt, an einem bestimmten Tag mit den Arbeiten zu beginnen. Dem ist er allerdings nicht nachgekommen. Vielmehr hat der Beklagte mehrfach Bedenken angemeldet und Baubehinderungen angezeigt, da der Estrich, auf dem die Bodenbeläge verlegt werden sollten, aus seiner Sicht noch eine zu hohe Restfeuchte aufgewiesen habe. Die Klägerin, die von einem Architektur- und Ingenieurbüro beraten wurde, wies die Bedenken zurück. Aufgrund der Art der auszuführenden Arbeiten sei der maßgebliche Wert der Restfeuchte ein anderer als der, den der Beklagte angenommen hat. Die Klägerin hat den Beklagten daher mehrfach unter Fristsetzung und Androhung der Auftragsentziehung zur Leistungserbringung aufgefordert. Der Beklagte ist dem nicht nachgekommen, sodass die Klägerin letztlich mehrere Teilkündigungen betreffend die einzelnen Bereiche des Kongresscenters ausgesprochen hat.
Die Klägerin hat die Bodenbelagsarbeiten sodann von Drittunternehmen ausführen lassen und hat gegen den Beklagten Klage auf Ersatz der Kosten erhoben.
Entscheidung
Sowohl das LG Wiesbaden als auch das OLG Frankfurt a. M. haben der Forderung der Klägerin (fast vollständig) stattgegeben. Die vom Beklagten eingelegte Revision hat der BGH mit Urteil vom 01.02.2024 zurückgewiesen, denn der Klägerin steht ein Anspruch gegen den Beklagten aus § 8 Abs. 3 Nr. 1 S. 2, Nr. 2 S. 1 VOB/B i. V. m. § 5 Abs. 4 Fall 1 VOB/B zu. Der Beklagte hat den Beginn der Ausführung verzögert, sodass die Klägerin wirksam den Vertrag über die Bodenbelagsarbeiten wirksam kündigen konnte. Dem Beklagten stand kein Leistungsverweigerungsrecht zu. Er hat zwar mehrfach gemäß § 4 Abs. 3 VOB/B Bedenken angemeldet. Da die Klägerin aber darauf reagiert und die Leistungsausführung trotz der angemeldeten Bedenken angeordnet hat, durfte der Beklagte die Leistung nicht verweigern. Er war nicht gemäß § 6 Abs. 1 VOB/B in der Ausführung seiner Leistungen behindert.
Im Normalfall hat ein Auftragnehmer die Leistung unter eigener Verantwortung nach dem Vertrag auszuführen und haftet für Mängel. Vorliegend haben die Parteien aber eine davon abweichende Haftungsverteilung vereinbart. Dafür genügt es, wenn ein Auftragnehmer Bedenken anmeldet und der Auftraggeber (wegen eigener Sachkunde oder sachkundig beraten) diese Bedenken zurückweist und zur Leistung auffordert. Die Klägerin hat vorliegend also ausdrücklich das Risiko einer mangelhaften Ausführung der Bodenbelagsarbeiten wegen (vermeintlich) zu hoher Restfeuchte des Estrichs übernommen und der Beklagte ist insoweit von seiner Haftung frei geworden. Darüber hinaus bleibt die Haftung selbstredend bestehen. Ein Auftragnehmer ist dann aber nicht zur Verweigerung seiner Leistung berechtigt. Verweigert er die Leistung dennoch, verzögert er dadurch die Ausführung und ist der Auftraggeber zur Kündigung nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 S. 2 VOB/B i. V. m. § 5 Abs. 4 Fall 1 VOB/B berechtigt. Die Kündigung setzt zwar grundsätzlich Verschulden des Auftragnehmers für die Verzögerung voraus. Dieses wird allerdings vermutet, d. h. der Auftragnehmer muss sich entlasten. Dem ist der Beklagte vorliegend nicht nachgekommen.
Weitere Rechtsfolge ist, dass der Auftraggeber gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 VOB/B den noch nicht vollendeten Teil der Leistung zulasten des Auftragnehmers durch Drittunternehmern ausführen lassen darf. Hinsichtlich der hinreichenden Darlegung der Ersatzvornahmekosten gilt, dass es ausreicht, die wegen der Beendigung des Vertrags infolge der Kündigungen entstandenen Mehrkosten insgesamt darzulegen. Weil die Klägerin keine Teilforderung geltend gemacht hat, bedurfte es keiner Zuordnung der Mehrkosten zu den durch die einzelnen Teilkündigungen jeweils ausgelösten Leistungen der Drittunternehmer. Es genügte, die Kosten, die durch die Beauftragung von Drittunternehmen für die eigentlich vom Beklagten zu erbringenden Leistungen entstanden sind, im Einzelnen darzulegen und hiervon die von dem Beklagten hierfür nach dem Vertrag zu beanspruchende Vergütung in Abzug zu bringen. Es reicht also aus, wenn nachvollziehbar dargelegt wird, welche Kostenpositionen aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag mit den von den Drittunternehmen in Rechnung gestellten Kosten korrespondieren.
Praxishinweis
Für Auftragnehmer bleibt festzuhalten, dass Bedenken hinreichend klar und schriftlich angemeldet werden sollten. Auftraggeber sollte die Bedenken umgehend prüfen (lassen) und, sofern die Bedenken unbegründet sind, diese zurückweisen. Will der Auftragnehmer keine Kündigung nebst Inanspruchnahme hinsichtlich der Ersatzvornahmekosten riskieren, sollte er trotz der Bedenken die Leistungen ausführen. Es wird insoweit von der Haftung befreit.
Autor
Yannic Linnemann
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