News | Newsletter | Neues zum Baurecht 01/2017
Anm. zu BGH, Urteil vom 22.09.2016 - VII ZR 298/14
BGH, Urteil vom 22.09.2016 - VII ZR 298/14
Gilt der Vertrag nach §§ 648a Abs. 5 S. 1 BGB alter Fassung i. V. m. § 643 BGB als aufgehoben, weil der AG auf Verlangen des AN keine ausreichende Sicherheit geleistet hatte, ist der AN nicht gehindert, den Vertrag wegen Zahlungsverzugs zu kündigen.
Der AN erklärte - kurz nachdem der AG ihm trotz seiner Nachfristsetzung mit Kündigungsandrohung keine ausreichende Sicherheit geleistet hatte und der Vertrag deshalb mit Fristablauf als aufgehoben galt - die Kündigung wegen Zahlungsverzugs gem. § 9 Nr. 1 b) VOB/B.
Der Sachverhalt liegt lange zurück. Es war § 648a Abs. 5 S. 1 BGB in der bis zum 30.04.2000 geltenden Fassung anzuwenden, die sich von der heutigen u.a. in der Vergütungsfolge erheblich unterscheidet. Erfüllt der AG nach der heutigen Fassung das Sicherheitsverlangen des AN nicht, kann dieser entweder die Leistung verweigern oder die Kündigung erklären. Bei wirksamer Kündigung des AN, steht ihm gem. § 642 BGB ein Zahlungsanspruch für erbrachte und nicht erbrachte Leistungen zu (unter Abzug ersparter Aufwendungen).
Nach der hier einschlägigen alten Fassung des § 648a Abs. 5 S. 1 BGB konnte der AN lediglich gem. § 643 Abs. 1 S.1 BGB nur einen der geleisteten Arbeit entsprechenden Teil der Vergütung und Ersatz der in der Vergütung nicht inbegriffenen Auslagen verlangen. Die Vergütungsfolgen sind im Fall der Kündigung also günstigere. Deshalb erklärte der AN auch zusätzlich die Kündigung wegen des Zahlungsverzugs.
Der BGH entschied, dass die Kündigung des Vertrags nicht deshalb ausgeschlossen war, weil der Vertrag gemäß § 648a Abs. 5 S. 1 BGB in der bis zum 30. April 2000 geltenden Fassung als aufgehoben galt. Der AN ist danach zur Kündigung berechtigt, wenn die Kündigungsvoraussetzungen in dem Zeitpunkt vorlagen, in dem der Vertrag als aufgehoben galt. Denn dem AN sollen keine Ansprüche entgehen, die er aus anderem Grund hat als dem, dass die Sicherheit nicht gestellt worden ist. Denn sonst würde der AG besser gestellt, obwohl er neben der Nichtleistung der Sicherheit zugleich eine Pflichtverletzung zu vertreten hat, derentwegen dem AN weitergehende Rechte zustehen (hier: Zahlungsverzug). Gleiches gilt, wenn der AN aufgrund einer vom AG zu vertretenden Pflichtverletzung in dem Zeitpunkt, in dem der Vertrag nach § 648a Abs. 5 S. 1 BGB alter Fassung i.V. mit § 643 BGB als aufgehoben gilt, zur Kündigung des Vertrags aus wichtigem Grund berechtigt ist. Liegen alle Voraussetzungen für eine solche Kündigung in diesem Zeitpunkt vor, so steht die Aufhebung des Vertrags der Wirksamkeit einer zeitnah danach erklärten Kündigung nicht entgegen.
Fazit:
Auch wenn solche Situationen nur noch selten vorkommen dürften (die hier anzuwendende alte Fassung des § 648 a BGB gilt für Bauverträge, die vor dem 30.04.2000 geschlossen wurden), kann die Entscheidung nützlich sein, um ein interessengerechtes Ergebnis in Fällen zu begründen, in denen eine Anspruchsvoraussetzung begrifflich nicht vorliegt. Der BGH ließ die vorteilhaften Rechtsfolgen der Kündigung eingreifen, obwohl der Vertrag bereits als aufgehoben galt und es somit nichts mehr zu kündigen gab. Das Urteil ist keine reine „Billigkeitsentscheidung“. Es fügt sich in die BGH-Rechtsprechung ein, wonach auch nichtige Verträge wegen arglistiger Täuschung angefochten oder widerrufen werden können (vgl. BGH, Urt. v. 21.06. 1955, V ZR 53/54; Urt. v. 25.11.2009, VIII ZR 318/08). Vertragliche Ansprüche wegen Fehlverhaltens sollen nicht deshalb ausgeschlossen sein, weil das Fehlverhalten so erheblich ist oder ein weiteres Fehlverhalten vorliegt, dessentwegen der Vertrag bereits gar nicht (mehr) besteht.
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