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Die Länge der Frist zur Stellung einer Bauhandwerkersicherung – eine Entscheidung mit Konsequenzen

Problemaufriss

Gem. § 650f Abs. 1 BGB kann der Auftragnehmer einer Bauleistung von seinem Auftraggeber verlangen, dass dieser seine ausstehenden Vergütungsforderungen sichert. Tut der Auftraggeber dies nicht innerhalb einer „angemessenen“ Frist, kann der Auftragnehmer gem. § 650f Abs. 5 S. 2 BGB den Vertrag kündigen und „große Kündigungsvergütung“.

Was einfach klingt, ist in Wahrheit hoch komplex: Was ist eine „angemessene“ Frist? Diese Frage ist höchst relevant: Kündigt der Auftragnehmer vor Ablauf einer angemessenen Frist, ist dies unwirksam. Der Auftragnehmer verweigert die weitere Leistungserbringung unberechtigt und begründet eine außerordentliche Kündigung durch den Auftraggeber. Die „Angemessenheit“ ist somit entscheidend: Entweder der kündigende Auftragnehmer erhält Vergütung für die von ihm erbrachten Leistungen und Ersatz des entgangenen Gewinns für die noch nicht erbrachten Leistungen. Oder er erhält keinerlei Ersatz für den Verlust des Auftrags und  macht sich sogar noch schadensersatzpflichtig.

Ausweislich der Gesetzesbegründung zum Bauhandwerkersicherungsgesetz, mit dem die Vorgängerregelung zum heutigen § 650f BGB eingeführt wurde, soll in der Regel eine Frist von 7 bis 10 Werktagen ausreichend sein (BT-Drs. 12/1836, S. 8f.). In der Praxis ist in dieser Frist jedoch nur selten eine Bauhandwerkersicherungsbürgschaft zu erlangen. Selbst wenn der Auftragnehmer liquide ist, nimmt die Prüfung durch die Bank mehrere Tage oder gar Wochen in Anspruch.

Rechtsprechung zur Angemessenheit

Der BGH hat klargestellt, dass es bei der vom Gesetzgeber genannten Frist lediglich auf Werktage ankommen könne, da die Beschaffung von Sicherungsmitteln am Wochenende und an Feiertagen nicht möglich sei. Zudem müsse im Einzelfall berücksichtigt werden, ob die Rechtslage unklar sei und insofern Bedarf einer anwaltlichen Beratung bestehe (BGH NZBau 2005, 393).

In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird das Kriterium der Angemessenheit deutlich unterschiedlich beurteilt. Im Ausgangspunkt gehen die Oberlandesgerichte mit dem BGH davon aus, dass Einzelfallgesichtspunkte in den Entscheid über die Angemessenheit der gesetzten Frist mit einzubeziehen sind. Die Angemessenheit soll zu bejahen sein, wenn es dem Auftraggeber möglich ist, die Sicherheit innerhalb der Frist ohne schuldhaftes Zögern zu erlangen. Dabei sei darauf abzustellen, was von einem Auftraggeber zu verlangen sei, der sich in normalen finanziellen Verhältnissen befinde und der die Erlangung der Sicherheit so weit wie möglich beschleunige.

Die Dauer der Frist müsse mindestens für die Kontaktaufnahme und für Verhandlungen mit einer Bank ausreichen. Auf der anderen Seite müsse jedoch auch berücksichtigt werden, dass § 650f BGB objektive Vertragspflichten des Auftraggebers beinhalte, mit deren Einforderung der Auftraggeber zu rechnen habe. Da das Interesse des Auftragnehmers am möglichst schnellen Erhalt einer Sicherheit anzuerkennen sei, müsse die zu setzende Frist im Regelfall eher kurz bemessen werden.

Vor dem Hintergrund dieses gemeinsamen Ausgangspunktes kommen die Oberlandesgerichte jedoch zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen:

Teilweise soll eine Frist von nur einer Woche ausreichen (OLG Hamburg, IBR 2024, 292 = BeckRS 2023, 51618; KG Berlin, ZfBR 2021, 426; OLG Düsseldorf, BauR 2020, 270; OLG Dresden, IBR 2006, 617 = BeckRS 2011, 16551). Einerseits wird darauf abgestellt, dass es sich im entschiedenen Fall um „professionelle“ Auftraggeber und „Großaufträge“ handelte (OLG Hamburg, IBR 2024, 292 = BeckRS 2023, 51618; OLG Dresden, IBR 2006, 617 = BeckRS 2011, 16551). An anderer Stelle wird maßgeblich auf die Erwägungen des Gesetzgebers abgestellt (KG Berlin, ZfBR 2021, 426; OLG Düsseldorf, BauR 2020, 270); teilweise mit dem Hinweis, dass die dort genannte Frist den Regelfall der Angemessenheit benenne (KG Berlin, ZfBR 2021, 426; OLG Dresden, IBR 2021, 516 = BeckRS 2020, 55416). 

Das OLG Naumburg (IBR 2003, 74 = BeckRS 2001, 30199648) sieht die in der Gesetzesbegründung genannte sieben- bis zehntätige Frist lediglich als „Mindestfrist“.  Habe der Auftragnehmer sein Sicherungsbegehren jedoch „unverhofft“ gestellt, müsse die Frist bis zu drei Wochen betragen. Auch das OLG München nimmt an, dass es sich bei der vom Gesetzgeber genannten Frist „eher“ um einen „Mindestzeitraum“ handele, der in Ausnahmefällen auch unterschritten werden könne. In vielen Fällen sei der vom Gesetzgeber genannte Zeitraum von sieben bis zehn Tagen jedoch „realitätsfern“ (OLG München, IBR 2023, 186 = IBRRS 2023, 0431).

Das OLG Stuttgart hielt eine Frist von unter drei Wochen für nicht angemessen, wobei es entscheidend darauf abstellte, dass es sich bei dem Auftraggeber um einen Verbraucher handelte und die Fristsetzung über Ferien, Feiertage und während der Corona-Pandemie erfolgt war (OLG Stuttgart, NZBau 2022, 404, 406).

Fazit

Fordert ein Auftragnehmer die Stellung einer Bauhandwerkersicherung, besteht auf beiden Seiten große Unsicherheit dahingehend, ob die gesetzte Frist angemessen war. Die Beantwortung dieser Frage ist von hoher Wichtigkeit, da sie hinsichtlich der Berechtigung der Kündigung gem. § 650f Abs. 5 S. 2 BGB und ihrer Folgen über „alles oder nichts“ entscheidet.

„Faustformeln“ können eine sorgfältige Prüfung im Einzelfall nicht ersetzen, zumal die Rechtsprechung unübersichtlich und nicht leicht zu durchdringen ist. Hier ist baurechtliche Expertise unverzichtbar – zumal die Risiken und Potenziale der Bauhandwerkersicherung noch weit über das Kündigungsrecht gem. § 650f Abs. 5 S. 2 BGB hinausgehen (siehe hierzu Homann/Köhler, NZBau 2024, 136).

Autor

Tobias Köhler

Tobias Köhler

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