News | Newsletter | Neues zum Baurecht 01/2018
Wer trägt das Risiko einer Änderung der allgemein anerkannten Regeln der Technik?
BGH, Urteil vom 14.11.2017 – VII ZR 65/14
Der Auftragnehmer schuldet grundsätzlich die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zum Zeitpunkt der Abnahme. Dies gilt auch bei einer Änderung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zwischen Vertragsschluss und Abnahme.
Die Klägerin hat die Beklagte im März 2007 zur Errichtung von drei Pultdachhallen beauftragt. In der Gebäudebeschreibung ist für die Ausführung der Hallen eine Schneelast von 80 kg/m² angegeben. Dies entsprach der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden DIN 1055-5 (1975). Diese DIN wurde zwischen Vertragsschluss und Abnahme geändert. So ist nach der geänderten DIN 1055-5 (2005) nunmehr eine Schneelast von 139 kg/m² für die Ausführung der Hallen anzusetzen. Die Beklagte errichtete die Hallen nach der in den Vertragsunterlagen angegebenen Schneelast von 80 kg/m². Nach Fertigstellung forderte die Klägerin die Beklagte zur Verstärkung der Dachkonstruktion auf. Da die Beklagte der Aufforderung nicht nachgekommen ist, reichte die Klägerin Klage gegen die Beklagte auf Vorschuss für die voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten ein. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat der Klage auf Vorschuss zum Großteil stattgegeben. Mit der Revision strebt die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage an. Ohne Erfolg!
Der Bundesgerichtshof hatte bereits zum BGB-Vertrag klargestellt, dass die allgemein anerkannten Regeln der Technik zum Zeitpunkt der Abnahme maßgeblich dafür sind, ob ein funktionstaugliches Werk hergestellt worden ist (Urteil vom 14.05.1998 – VII ZR 184/97, BGHZ 139, 16). Dies bestätigt der Bundesgerichtshof nunmehr auch für VOB/B-Verträge. Zudem stellt er klar, dass dieser Grundsatz auch bei einer Änderung der allgemeinen anerkannten Regeln der Technik zwischen Vertragsschluss und Abnahme gelten muss. In einem solchen Fall muss der Auftragnehmer den Auftraggeber über die Änderung und die damit verbundenen Konsequenzen und Risiken für die Bauausführung informieren.
Kommt der Auftragnehmer dieser Verpflichtung nach, bleiben dem Auftraggeber zwei Optionen. Option 1: Der Auftraggeber ordnet die Einhaltung der neuen allgemein anerkannten Regeln der Technik gegenüber dem Auftragnehmer an. Im Regelfall wird der Auftragnehmer dann eine Vergütungsanpassung nach § 1 Nr. 3 oder 4, § 2 Nr. 5 oder 6 VOB/B (2006) verlangen können. Option 2: Der Auftraggeber sieht von der Einhaltung der neuen allgemein anerkannten Regeln der Technik und damit von einer etwaigen Verteuerung des Bauvorhabens ab. Dies würde allerdings dazu führen, dass der Auftragnehmer für etwaige Mängel aufgrund der Nichteinhaltung der neuen anerkannten Regeln der Technik nicht einzustehen hätte.
In dem vom Bundesgerichtshof zu entscheidenden Fall hat der Auftragnehmer nach den veralteten anerkannten Regeln der Technik gebaut, ohne Bedenken gegenüber dem Auftraggeber anzumelden. Daher geht der Bundesgerichtshof auch zutreffend davon aus, dass ein Vorschussanspruch des Auftraggebers für die voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten dem Grunde nach besteht. Dieser ist jedoch entsprechend um die Sowieso-Kosten zu kürzen. Als Sowieso-Kosten sind danach diejenigen Mehrkosten zu berücksichtigen, um die das Werk bei ordnungsgemäßer Ausführung von vornherein teurer geworden wäre. Es bestehe kein Anlass, den Auftraggeber im Rahmen eines Anspruchs gemäß §§ 4 Nr. 7, 8 Nr. 3 Abs. 2 Satz 1 VOB/B (2006) oder im Rahmen von Mängelansprüchen besser zu stellen.
Fazit
Der Bundesgerichtshof führt seine Rechtsprechung konsequent fort, dass der Auftragnehmer die Einhaltung der allgemeinen anerkannten Regeln der Technik zum Zeitpunkt der Abnahme schuldet und dies auch bei einer Änderung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zwischen Vertragsschluss und Abnahme gelten muss. Umso wichtiger ist es, dass der Auftragnehmer immer auf dem neuesten Stand der Technik in seinem Gebiet ist.
Wenn sich während der Bauausführung eine Änderung der allgemein anerkannten Regeln der Technik ergibt, müssen dem Auftragnehmer jedoch keine Nachteile daraus entstehen – im Gegenteil: Grundsätzlich hat der Auftraggeber die Kosten zu tragen, die durch die Änderung der allgemein anerkannten Regeln der Technik entstehen. Sofern sich also der Auftragnehmer an die Formalien hält, d. h. Bedenken gegen die Art der ursprünglich beauftragten Ausführung anmeldet, kann er durch die Anordnung der geänderten oder zusätzlichen Leistungen durch den Auftraggeber sogar noch zusätzliche Vergütung generieren. Sofern der Auftraggeber auf die ursprünglich beauftragte Ausführungsweise besteht, erwachsen dem Auftragnehmer ebenfalls keine Nachteile, da er für etwaige daraus resultierende Mängel nicht einstehen muss.